Michael Wendenburg Online Redaktion

Dassault Systèmes und ABB verbünden sich bei Industrie 4.0

Im Bereich der Fertigungsplanung und ˗simulation war Dassault Systèmes mit der DELMIA-Produktsuite immer schon zu Hause. Jetzt will der PLM-Hersteller den Fuß richtig in die Tür zum Shopfloor schieben. Nachdem die Franzosen Ende letzten Jahres den amerikanischen Hersteller von ERP/MES-Software für den Mittelstand IQMS übernommen haben, sind sie vor kurzem eine globale Kooperation mit ABB eingegangen, um die 3DEXPERIENCE-Plattform mit ABB Ability zu verbinden. ABB Ability ist eine integrierte Cloud˗ und IIoT-Plattform (Industrial Internet of Things) für die Vernetzung von Geräten und Systemen und die Überwachung ihres Zustands. Sie ist seit 2017 auf den Markt und bietet mehr als 210 Lösungen für Planung, Aufbau und Betrieb von industriellen Prozessen.

ABB-Automation

Die ABB Ability-Lösungen unterstützen eine große Bandbreite von Industrien und Anwendungsgebieten wie Prozessindustrie, Bergbau, Wasserversorgung und Abwasseraufbereitung, Energieversorgung und Netzbetrieb, Rechenzentren, Smart Building, Transportation und Fertigungsindustrie. Die Kooperation mit Dassault fokussiert sich im ersten Schritt auf den Einsatz von Digital Twin-Anwendungen für Fabrikautomation und Robotik, die Automatisierung der Prozessindustrie und die Elektrifizierung von Gebäude. Kunden in der Fertigungsindustrie wollen die beiden Partner nicht nur betriebsfertige Produktionslösungen und -dienstleistungen anbieten, sondern sie auch gemeinsam bei der digitalen Transformation beraten.

Ein Schwerpunkt soll dabei offensichtlich die Automobilindustrie sein, wie folgende Passage der Pressemitteilung nahelegt: In hochautomatisierten Branchen wie der Automobilindustrie ermöglicht der digitale Zwilling von Fabriken eine integrierte Konstruktions- und Fertigungsumgebung, um neue Montageprozesse mit flexiblen und rekonfigurierbaren Zellen zu unterstützen. Es ermöglicht auch die Verbindung separater Systeme, z. B. die Anbindung von Systemen für die Logistikautomation an Fertigungsroboter, die für eine optimale Produktionsleistung auf eine exakte Teilezustellung angewiesen sind.

Die Partnerschaft wird die Stärken der digitalen Lösungen von ABB Ability und der 3DEXPERIENCE-Plattform von Dassault Systèmes bündeln und stützt sich auf die starke installierte Basis und den globalen Kundenzugang beider Unternehmen, wie es in der Pressemitteilung heißt. ABB hat bereits die 3DEXPERIENCE-Plattform eingesetzt, um seine Lösungen zu modellieren und zu simulieren, bevor sie an seine Kunden ausgeliefert werden. Mit dieser Partnerschaft wird ABB fortschrittliche digitale Zwillinge entwickeln und den Kunden zur Verfügung stellen, die es den Kunden ermöglichen, die Lösungen und den Betrieb von ABB mit verbesserter Gesamteffizienz, Flexibilität und Nachhaltigkeit zu betreiben.

Diese wegweisende Partnerschaft ermöglicht unseren Kunden Innovations- und Wachstumssprünge. Mit unserem Angebot können sie ihre gesamte Wertschöpfungskette grundlegend verändern, um die großen Chancen der industriellen Digitalisierung zu nutzen. Zusammen bieten wir ein offenes, durchgängig digitales Portfolio – vom digitalen Zwilling bis hin zu Investitionssicherheit, wird ABB CEO Ulrich Spiesshofer in der Pressemitteilung zitiert. Die Frage ist, auf welcher Cloud-Infrastruktur die beiden Partner ihre Stärken bündeln wollen. ABB kooperiert hier nämlich strategisch mit Microsoft Azure, während Dassault seine 3DEXPERIENCE-Plattform bislang vorwiegend auf der eigenen Cloud von Outscale anbietet, an der das Unternehmen eine Mehrheitsbeteiligung hält, sowie auf Amazon AWS.

Das Pikante an der Kooperation mit Dassault Systèmes ist, dass ABB in der eigenen Produktentwicklung – zumindest im Bereich der Mittel- und Niederspannungstechnik – nicht auf die Stärken der 3DEXPERIENCE-Plattform setzt, sondern die PLM-Lösung Windchill von Dassault-Mitbewerber PTC einsetzt. Als einer der ersten größeren PTC-Kunden ist die EP-Division in die PLM-Cloud migriert, und wenn ich die Aussagen der ABB-Vertreter auf dem letzten PTC Forum richtig in Erinnerung habe ist EP nicht die einzige Division, die diesen Weg gemeinsam mit PTC gehen will.

Warum sich ABB für die industrielle Digitalisierung trotzdem für einen anderen PLM-Partner entschieden hat, liegt allerdings auf der Hand. PTC ist nämlich im vergangenen Jahr bereits eine strategische Kooperation mit Rockwell Automation eingegangen, mit dem Ziel, die Technologien beider Unternehmen im Bereich des IIoT zu bündeln und Siemens im Bereich der digitalen Fabrik Paroli bieten zu können. Verdi Ogewell hat dazu in einem lesenswerten Beitrag auf Engineering.com veröffentlicht, der die Kooperation zwischen ABB und Dassault Systèmes in den Kontext des Kampfes der drei großen PLM-Hersteller um die Plattform-Hoheit stellt. Strategisch sei das ein schlauer Schachzug, meint Verdi, aber how things develops with this new combination, remains to be seen. My general take is that structurally, the alliance looks exactly right, but the work to transform it into flexible platform solutions is a tough and time-consuming journey.

Auf der Hannover Messe Industrie vom 1. bis 5. April wollen beide Unternehmen die ersten gemeinsamen Lösungen präsentieren. Man darf gespannt sein, wie viel davon Blaupause und wie viel schon industriell nutzbar ist. Ich werde Sie auf dem Laufenden halten.

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