Michael Wendenburg Online Redaktion

CIMdata: Corona infiziert den PLM-Markt stärker als erwartet

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona- bzw. COVID-19-Pandemie werden den globalen PLM-Markt härter und vor allem längerfristiger treffen als ursprünglich erwartet. Das sagte CIMdata Vice President Stan Przyzybilinsky vor ein paar Tagen in einem Webinar. Mitte März waren die Marktanalysten noch davon ausgegangen, dass sich das Wachstum in diesem Jahr lediglich abschwächen und dass sich der PLM-Markt im nächsten Jahr rasch wieder erholen werde – ähnlich wie nach der Finanzkrise 2008/09. Doch das ist nach den düsteren Prognosen des IWF, der für die entwickelte Welt eine starke Rezession mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von über sechs Prozent voraussieht, Makulatur geworden. COVID-19 wird das PLM-Geschäft auf Jahre negativ beeinflussen, schätzt Przyzybilinsky.

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Die goldenen Jahre, in denen der PLM-Markt nur eine Richtung kannte, sind abrupt zu Ende gegangen. Schon im letzten Jahr war das Wachstum aufgrund der schwächelnden Konjunktur etwas geringer ausgefallen als von CIMdata ursprünglich erwartet. Der Gesamtmarkt wuchs aber immerhin noch um knapp 7,6 Prozent auf 51,43 Milliarden US-Dollar. Wie stark er 2020 schrumpfen wird und wie lange dieser Einbruch dauern wird, vermochte Przyzybilinsky nicht genau zu sagen.

CIMdata unterteilt den PLM-Markt grob in drei Kategorien: cPDm (collaborative Product Definition management) umfasst alle Anwendungen für die Verwaltung, Bereitstellung, Visualisierung und Collaboration mit den Produktdaten, Tools die Autorensysteme für CAD, CAM, CAE, ECAD bzw. EDA (Electronic Design Automation), Architektur und Bauwesen (ACE) und Digital Manufacturing die Lösungen für die Fabrikautomation. Auf das Geschäft mit umfassenden cPDm-Lösungen und cPDm-fokussierten Anwendungen entfielen im letzten Jahr mehr als 9,2 Milliarden US-Dollar, auf die Umsätze von Systemintegratoren, Wiederverkäufern und VARs, die CIMdata ebenfalls dem cPDm-Segment zurechnet, weitere 8,2 Milliarden. Insgesamt also etwa 17,4 Milliarden US-Dollar verglichen mit den 16,25 Milliarden im Jahr 2018.

Als sich Mitte März die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie abzuzeichnen begannen, korrigierte CIMdata seine Wachstumserwartungen für das Jahr 2020 zunächst moderat nach unten – auf 2,4 Prozent. Die Marktanalysten orientierten sich an den Erfahrungen der Great Recession nach der Finanzkrise, in deren Folge die PLM-Umsätze im Jahr 2009 um 9,6 Prozent geschrumpft waren, um den Einbruch schon im Folgejahr wieder wettzumachen. Meine ursprüngliche Einschätzung war, dass sich das sechs Monate auswirkt und dass der PLM-Markt im ersten oder zweiten Quartal 2021 wieder zu seiner alten Stärke zurückfindet, sagte Przyzybilinsky. Inzwischen geht er davon aus, dass es mehrere Jahre dauern wird, das Niveau des Jahres 2019 wieder zu erreichen. Er stützt sich dabei zum einen auf die jüngsten Konjunkturprognosen des IWF, aber auch auf die drastisch nach unten korrigierten Voraussagen von Gartner oder IDC über die zu erwartenden IT-Ausgaben.

Vieles wird davon abhängen, wie schnell sich die entwickelten Volkswirtschaften erholen. Deutschland habe die Pandemie gut gemeistert, so dass die deutsche Industrie vermutlich früher als andere wieder in Gang kommen werde, meinte Przyzybilinsky. Auch China werde früher aus der Krise herauskommen, weil das Land früher betroffen gewesen sei. In den USA hingegen könnten sich die Folgen bis 2024 bemerkbar machen, je nachdem von welchem Szenario man ausgehe. Eins lässt sich jetzt schon sagen: Die Unternehmen werden nach der Krise das Management ihrer globalen Zulieferketten grundlegend überdenken. Dessen ungeachtet wird der Bedarf für eine sichere und robuste unternehmensübergreifende Kommunikation und Collaboration weiter zunehmen.

PLM-Markt_2019

Die COVID-19-Pandemie wird Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle aller PLM-Anbieter haben, aber nicht alle gleichermaßen stark treffen, wie Przyzybilinsky weiter ausführte. Die wenigen Hersteller, die bereits die Transition zu einem Subskriptions-basierten Lizenzmodell vollzogen haben, werden sich vermutlich leichter tun, weil ihre Kunden bestehende Subskriptionen nicht kündigen werden, um weiterhin Zugang zu ihren Daten zu haben. Hersteller, die vor allem kleinere und mittlere Unternehmen in den Zulieferketten bedienen, müssen sich hingegen auf eine längere Durststrecke gefasst machen, da ihre Kunden stärker unter der Krise leiden und ihre Investitionen deshalb stärker zurückfahren werden – sofern sie die Krise überhaupt überstehen.

Vor großen Herausforderungen stehen nach Einschätzung von CIMdata auch die Anbieter von Consulting Services und Systemintegratoren, die viele Leistungen bei den Kunden vor Ort erbringen, was aufgrund der Maßnahmen der sozialen Distanzierung schwierig geworden ist. Wann Berater wieder werden reisen und ihre Kunden persönlich kontaktieren können, ist eine offene Frage. Die Systemintegratoren werden ihre Experten stärker in virtuelle Teams integrieren und ihre Onsite-Präsenz reduzieren müssen, wie Przyzybilinsky sagte. Es gebe weiterhin eine gute Nachfrage nach PLM-Software und -Services, aber die Anbieter müssten sie anders an den Kunden bringen.

Viele Unternehmen haben schnell auf die COVID-19-Krise reagiert und Reisebeschränkungen verhängt, Hygiene-Maßnahmen verstärkt oder ihre Mitarbeiter gleich ins Homeoffice geschickt und die Arbeitszeiten flexibilisiert. Sie stellen mehr Informationen online bereit und entwickeln neue Angebote, um ihre Kunden remote zu unterstützten. Doch was ist mit dem Neukundengeschäft, das praktisch zum Erliegen gekommen ist? Laut CIMdata werden heute – im Unterschied zur Great Recession – mehr Software-Käufe online getätigt, aber das dürfte eine sehr amerikanische Sicht auf die Dinge sein und auch nur für das Segment der CAx-Tools gelten. Ich glaube nicht, dass deutsche Unternehmen mal schnell eine neue PLM-Lösung online ordern werden.

Die Pandemie könnte laut CIMdata dazu führen, dass die Akzeptanz der Unternehmen für Cloud-basierte PLM-Anwendungen zunimmt. Zumindest bei den Teilnehmern des Webinars stieß das Thema Cloud PLM auf großes Interesse, wie die vielen Fragen im Anschluss an das Webinar deutlich machten. Noch ist die Verbreitung von Cloud-PLM sehr gering, wie Przyzybilinsky einräumte, was unter anderem damit zusammenhänge, dass es nur wenige wirklich Cloud-fähige Lösungen gebe. Außerdem hätten viele Unternehmen immer noch Sicherheitsbedenken, die eigentlich unberechtigt seien. Die Rolle der Systemintegratoren wird sich seiner Einschätzung nach durch Cloud PLM nicht grundlegend verändern: Services würden immer gebraucht, auch wenn sich ihre Zusammensetzung verändere.

Bei der Weiterentwicklung ihrer Lösungen werden die PLM-Anbieter sich wieder stärker auf ihre eigene Innovationskraft besinnen müssen, statt ständig irgendwelche Technologien zuzukaufen und zu versuchen, sie in ihre Produktportfolios zu integrieren. Im letzten Jahr verzeichnete CIMdata im PLM-Markt noch über 100 Mergers & Acquisitions. Jetzt seien viele geplante Akquisitionen erst einmal auf Eis gelegt, weil sie Interaktionen erfordern, die man nicht einfach online erledigen könne, sagte Przyzybilinsky. Dass ausgerechnet ein Virus dazu führt, dass das Übernahmefieber im PLM-Markt sinkt, gehört zu den Paradoxien dieser Pandemie.

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