Michael Wendenburg Online Redaktion

Munich PLM Symposium: PLM am Puls der Zeit?

Eine ehrliche Auseinandersetzung mit PLM versprach Prof. Vahid Salehi von der Hochschule für Angewandt Wissenschaften München bei der Eröffnung des diesjährigen Munich PLM Symposiums. Ganz konnte die Veranstaltung, die vor zwei Wochen an der Hochschule stattfand, diesem Anspruch nicht gerecht werden. Die meisten Keynotes und Vorträge beschäftigten sich mehr mit dem, was PLM künftig sein und leisten soll, als mit den Niederungen des Tagesgeschäfts, die zumindest in einer der Keynotes anklangen. Die Podiumsdiskussion über die Frage, ob PLM (noch) am Puls der Zeit ist, war ein guter Ansatz, aber zeitlich zu knapp bemessen, um das Thema tiefschürfend zu erörtern.

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Die Teilnehmer der Diskussion waren sich weitgehend einig, dass PLM unabdingbar ist, um die digitale Transformation zu bewältigen und deshalb eine Art Renaissance erlebt. PLM habe sich massiv weiter entwickelt in Richtung IoT und Digital Twin, was aber Herausforderungen für die Art der Zusammenarbeit mit sich bringe, meinte Dr. Stefan Graswald von MTU Aero Engines. Die Frage, wie sich die Organisation der Arbeitsweisen verändern muss, hält auch Stefan Bernhardt von MAN Truck & Buses für bedeutsam, weil die Unternehmen in fünf Jahren anders entwickeln werden, mit einer geringeren Tiefe, noch mehr Partnern und in Kooperation mit anderen OEMs. Prof. Salehi meinte, dass PLM nur eine Chance habe, wenn es gelinge, die Software-Entwicklung frühzeitiger zu integrieren.

Dr. Johannes Warbeck von Kraus Maffei Technologies konstatierte eine wachsende Diskrepanz zwischen den PLM-Anbietern, die am Puls der Zeit seien, und den Anwendern, die hinterherhinken würden. Das mag damit zusammenhängen, dass zumindest die gelegentlichen Anwender mit der Komplexität von PLM überfordert sind und auf Abstand gehen, wie Graswald konstatierte. Die Komplexität sei aber zum Teil hausgemacht, weil in Deutschland alles immer 120prozentig sein müsse, meinte Bernhardt. Er warf die Frage auf, ob die Anwender schneller mit den Systemen zurechtkämen, wenn sie eine Sprachsteuerung hätten. Diese Option scheint allerdings keiner der PLM-Hersteller, die in München zugegen waren, auf der Roadmap zu haben. Zumindest wollte niemand dazu Aussagen machen.

Kleine, aber feine PLM-Veranstaltung
Viele Aussteller gab es ohnehin nicht. Das Munich PLM Symposium ist eine kleine, aber feine Veranstaltung für die süddeutsche PLM-Community, die insbesondere für Teilnehmer interessant ist, die sich mit dem Thema Model Based Systems Engineering (MBSE) beschäftigen. Dazu gab es in diesem Jahr wieder eine eigene Vortragsreihe und eine interessante Keynote von Dr. Kai Korthals, der den Teilnehmern erläuterte, wie Landmaschinenhersteller CLAAS die Herausforderungen bei der Entwicklung von cyberphysischen Produkten und Systemen mit Hilfe des Systems Engineerings bewältigt. Die Maschinen von CLAAS sind eigentlich keine Maschinen mehr, sondern intelligent vernetzte (Sub)Systeme, die z.B. selbständig schneller ernten, wenn schlechtes Wetter droht. Oder die Herkunft der geernteten Produkte erfassen, so dass sie auf die Verpackung des Discouters gedruckt werden kann. Solche hochgradig vernetzten Maschinen erfordern andere Entwicklungsmethoden, wie Korthals sagte.

Ein wesentlicher Treiber für MBSE-Initiativen in der Automobilindustrie ist das Autonome Fahren (AF) bzw. die Notwendigkeit, die autonomen Fahrfunktionen digital abzusichern. Ohne eine validierte Simulation ist AF nicht denkbar, weil die erlaubte Rate unentdeckter Ausfälle Milliarden von Testkilometern erfordern würde. Da die Fahrzeuge aber nicht im leeren Raum virtuell fahren können, braucht man ein smartes Simulationsmodell der Umgebung. Ein solches Modell haben die Partner des Forschungsprojekts SAVe in Zusammenarbeit mit der Stadt Ingolstadt aufgebaut.
MBSE bzw. die Modellierungssprache SysML dienten bei dem Projekt vor allem als formularisierte Vorgehensweise, um die Anforderungen an das Simulationsmodell zu spezifizieren und zu validieren. Prof. Salehi, Wolfgang Remlinger von Audi und Stefan Holz von der EFS – Elektronische Fahrwerksysteme erläuterten den Teilnehmern den aktuellen Stand des Projekts und die Grundlagen des Modells, das in Zukunft nicht nur für das Testen autonomer Fahrfunktionen, sondern in Verbindung mit realen Verkehrsdaten auch für die bedarfsgerechte Steuerung der Verkehrsflüsse genutzt werden kann.

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Ein Vorteil der modellbasierten Systementwicklung ist die Reduzierung der Komplexität, indem man sie auf ein höheres Abstraktionsniveau hebt. Max Faller von NTT Data erläuterte das am Beispiel der Bordnetzentwicklung, die aufgrund des Autonomen Fahrens, der Vielfalt der Antriebe und des Einsatzes neuer Technologien (z.B. Lichtwellenleiter) vor der Herausforderung steht, eine wachsend Vielfalt möglicher Varianten mit allen ihren Abhängigkeiten zu beherrschen, um am Ende einen auftragsspezifischen Kabelbaum zu generieren und in die Logistikwelt zu überführen. Der modellbasierte Ansatz biete die Möglichkeit, ausgehend von einer zentralen Bibliothek wieder verwendbarer Objekte die Leitungssatzsynthese zu automatisieren und die Fehlerquote zu reduzieren, so dass weniger Expertenwissen erforderlich sei, meinte Faller.

Rettungshandbuch für PLM-Manager?
Die andere Vortragsreihe beschäftige sich mit PLM-Themen, allerdings vorwiegend aus Sicht der Berater und Softwarehersteller. Die Sicht des Praktikers hätte Dr. Warbeck von Kraus Maffei beisteuern können, dessen Keynote aber nicht ganz hielt, was der spannende Titel versprach: Ein Rettungshandbuch für PLM-Manager, die zwischen täglicher Hardcore-Realität und visionären Herausforderungen stecken bleiben. Die grundlegenden Probleme zu lösen, ohne die Vision aus den Augen zu verlieren, ist ein Ratschlag, den sicher viele PLM-Manager beherzigen werden. Ich habe aber meine Zweifel, ob sich damit das vielbeschworene Risiko des Misserfolgs von PLM-Projekten minimieren lässt. Interessanter fand ich die These, dass Agilität eine großartige Ausrede ist, die aber nicht eine disziplinierte, sequentielle Planung ersetzt. Dazu hätte man gerne mehr erfahren.

Ein Thema, das mit Blick auf die digitale Transformation und die Erweiterung von PLM in Richtung IoT an Gewicht gewinnt, ist das Configuration Management (CM). Dabei geht es nicht um das Konfigurieren eines Produkts, sondern um die der Verwaltung einer Produktkonfiguration mit allen dazugehörenden Informations-Objekten über die Zeitachse, um ihre Nachvollziehbarkeit sicherzustellen, wie Claudia Rosenberger und Harald Schwabe von usb in ihrem lehrreichen Vortrag über CM und die Auswirkungen der Digitalisierung erläuterten. Ein wesentliches Instrument dafür sind so genannte Baselines, die den Zustand der Konfiguration zu einem bestimmten Zeitpunkt dokumentieren.

Konfigurationskontrolle ist eine Lifecycle-Aufgabe von der Planungs- bis zur Betriebsphase, wie die beiden Referenten deutlich machten, und sie steht in einem engen Zusammenhang mit dem Change Management, weil sich an der Konfiguration ständig etwas ändert. Insofern ist CM ein wesentlicher Bestandteil von PLM, geht aber vom Funktionsumfang über die klassischen PLM-Systeme hinaus, weil die Konfiguration ja auch Items wie die Software enthält, die oft gar nicht in diesen Systeme zu finden sind. Oder z.B. auch die Anforderungen. Ich frage mich deshalb, ob CM nicht vielleicht das (leichtgewichtige) PLM der Zukunft ist, das alle relevanten Informations-Objekte miteinander verbindet? Dazu mehr in einem meiner nächsten Blog-Beiträge.

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