Einer Industrie 4.0-Studie von Computerwoche und CIO zufolge, die leider nur in Auszügen öffentlich zugänglich ist, vertrauen die Unternehmen darauf, dass Industrie 4.0 erst in drei Jahren so richtig durchstarten wird. Nur ein Fünftel haben bereits erste Projekte realisiert, übrigens meist mit einem sehr schnellen Return on Invest, während das Thema für 27 Prozent von ihnen noch überhaupt keine Rolle spielt. Zwei Drittel gehen aber davon aus, dass Industrie 4.0 für sie innerhalb der nächsten drei Jahre wichtig bis sehr wichtig wird.
Warum schieben die Unternehmen Industrie 4.0 auf die lange Bank? Einmal weil erstaunlich viele immer noch nicht genau wissen, was sich hinter Industrie 4.0 verbirgt bzw. eine sehr verkürzte Sicht auf die Dinge haben. Das Gros (69 Prozent) versteht darunter immer noch die Vernetzung von Maschinen und IT. Immerhin sehen 31 Prozent der Befragten Industrie 4.0 schon in einem größeren Zusammenhang der digitalen Transformation und ein Viertel versteht darunter voll integrierte Wertschöpfungsketten, wenn auch nicht zwingend bis in den Service. Weniger als 20 Prozent betrachten Predictive Maintenance oder Condition Based Maintenance als Teil von Industrie 4.0. Offensichtlich denken nur wenige Unternehmen über die Entwicklung neuer serviceorientierter Geschäftsmodelle nach.
Hier rächt sich einmal mehr die einseitige Fokussierung auf die intelligent vernetzte Produktion aus den Anfangsjahren der Industrie 4.0-Diskussion. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Ohne smarte Produkte gibt es auch keine intelligent vernetzte Produktion, denn letztlich sind Maschinen und Anlagen aus Sicht der Hersteller zunächst einmal Produkte – Produkte, die sie dank der Vernetzung über das Internet of Things (IoT) vielleicht künftig als Service oder zumindest als Teil von integrierten Produkt-Service-Angeboten anbieten können. Und ich möchte sogar noch einen Schritt weiter gehen: Ohne smarte Produkte werden wir diese intelligent vernetzte Produktion auch gar nicht benötigen, denn „dumme“ Produkte kauft uns niemand mehr ab. Aber vielleicht wollen wir ja zur intelligent verlängerten Werkbank für smarte chinesische Produkte werden?
Übrigens herrschte selbst in der von der Computerwoche veranstalteten Experten-Diskussion keine Einigkeit darüber, was Industrie 4.0 eigentlich genau ist. Jetzt könnte ich natürlich boshaft sein und sagen, wer die falschen Leute (IT- und Sicherheits-Experten) befragt, der bekommt auch nicht die richtigen Antworten. Aber das wäre nicht fair, weil es in der Diskussion um das Spannungsfeld zwischen Safety und Security ging, das zweifellos eine zentrale Herausforderung bei Industrie 4.0-Projekten ist. Eine weitere Herausforderung ist gerade mit Blick auf die intelligente Vernetzung der Produktion das Thema Konnektivität, weil aufgrund der langen Lebenszyklen der Produktionsanlagen unterschiedliche Generationen von Netzwerken und Komponenten integriert werden müssten, wie Andreas Kaiser, Director von Rohde & Schwarz Cybersecurity sagte.
Ich möchte einen weiteren Aspekt ergänzen, den ich vor kurzem bei einem Besuch bei Airbus aufschnappte: Um Fertigungs- und Montageprozesse im laufenden Betrieb optimieren zu können, müssen Shopfloor-Daten in Echtzeit erfasst und ausgewertet werden. Dafür sind nicht nur Echtzeit-fähige Standards für den Datenaustausch erforderlich, sondern auch industrielle Netze mit den entsprechenden Bandbreiten, die in den meisten Unternehmen nicht vorhanden sind. Oder aber man braucht eben smarte Maschinen, die in der Lage sind, Sensordaten vor Ort auszuwerten und nur die kritischen Werte über das Netzwerk weiterzugeben.
Man kann es also drehen und wenden wie man will: Die eigentliche Herausforderung von Industrie 4.0 ist die interdisziplinäre Entwicklung smarter Produkte. Dafür sind die meisten Unternehmen heute weder von der Organisation, noch von den Entwicklungsprozessen optimal aufgestellt. Von der PLM-Bebauung ganz zu schweigen. Aber das ist ein anderes Thema, das ich nach der Sommerpause gerne vertiefen werde. Jetzt wünsche ich uns erst einmal einen erholsamen Urlaub.