Die (scheinbar) gute Nachricht zuerst: Der weltweite PLM-Markt wuchs im letzten Jahr um 7,3 Prozent auf 43,68 Milliarden US-Dollar und hat damit CIMdatas eigene Prognosen noch übertroffen. Das klingt nach viel, ist es aber eigentlich nicht, wenn man sich die einzelnen Marktsegmente genauer anschaut. Das Kerngeschäft mit Software und Services für das Produktdaten- und Prozessmanagement, das CIMdata cPDm (collaborative Product Definition management) nennt, hinkte mit einem Zuwachs von 2,9 Prozent und 15 Milliarden US-Dollar der Entwicklung des Gesamtmarkts deutlich hinterher. Die Software-Umsätze waren sogar rückläufig, während nur das Service-Geschäft etwas zulegen konnte. Und das obwohl die Umsätze mit Cloud PLM-Anwendungen, die sich in Zukunft negativ auf das Geschäft mit On Premise-Lösungen auswirken werden, zurzeit noch verschwindend gering sind.
Überdurchschnittlich schnitt der Tool-Sektor mit einem Zuwachs von 7,7 Prozent auf 27,88 Milliarden US-Dollar ab, maßgeblich beflügelt durch das Geschäft mit Anwendungen für die Elektrik/Elektronik-Entwicklung (Electronic Design Automation). Die gute Entwicklung des EDA-Marktes spiegelt den starken Trend zu cybertronischen bzw. smart vernetzten Produkten wider, die immer mehr Elektronik und eingebettete Software enthalten. Die Elektronik muss ja auch mit irgendwelchen Autorentools entwickelt werden, die übrigens durch die Bench noch nicht Cloud-fähig sind.
Vor diesem Hintergrund versteht sich übrigens auch die Übernahme von EDA-Anbieter Mentor Graphics durch Siemens PLM Software, mit der ich mich an anderer Stelle kritisch auseinandergesetzt habe. Es war eine von insgesamt fünf, die der PLM-Hersteller in den letzten Monaten getätigt hat, und eine von Dutzenden von Übernahmen weltweit. Die Liste, die Stan Przybylinski von CIMdata in Ann Arbor präsentierte, füllte insgesamt vier Powerpoint-Folien. Im Unterschied zu Oleg kann ich den Sinn und Zweck dieser Akquisitionen allerdings nicht auf Anhieb erkennen, es sei denn man betrachte sie als Beweis für die unaufhaltsame Konsolidierung des PLM-Markts. Sie führt zu einer zunehmenden Konzentration, von der wahrscheinlich nicht mal die Anbieter, auf keinen Fall aber die Kunden profitieren werden.
Die Kunden wollen eigentlich keine (monolithischen) PLM-Lösungen aus der Hand eines einzelnen Herstellers mehr haben, sondern eine offene, modulare PLM-Architektur, in die sie die besten Tools für ihre jeweiligen Anforderungen einfach integrieren können. Ich sehe nicht, dass das Übernahmefieber im PLM-Markt darauf abzielt, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Die Anstrengungen der Käufer konzentrieren sich notwendigerweise erst mal darauf, ihre Neuerwerbungen organisatorisch, personell und technisch zu verdauen. Dabei gehen dann oft die besten Leute aus der Entwicklung, aber auch aus Vertrieb und Support verloren, mit dem Erfolg, dass sich keiner mehr so richtig für das neue Produkt verantwortlich fühlt. Das ist keine Behauptung meinerseits, sondern eine Feststellung, die sich durch zahlreiche Beispiele aus den letzten Jahren belegen lässt. Erinnern Sie sich noch daran, durch wie viele Hände die Strak-Software ICEM Surf gegangen ist? Glücklicherweise kommen manche der abgefundenen Mitarbeiter auf die glorreiche Idee, ein revolutionär neues PLM-Produkt zu entwickeln, das dann in ein paar Jahren vielleicht wieder übernommen werden kann.
Wenn man sich die Liste der Übernahmen im PLM-Markt anschaut, kommt man zu dem Schluss, dass es eher die großen “Fische“ sind, die die kleinen fressen. Erstaunlich starken Hunger entwickeln große Beratungsfirmen wie Accenture, Capgemini oder KPGM und IT-Service-Provider wie Atos oder der inzwischen mit CSC verschmolzene IT-Services-Bereich von HP Enterprise, der Kunden künftig unter dem Namen DXC Technology bei der digitalen Transformation beglücken will. Wir erinnern uns: CSC schluckte Mitte der 90er Jahre den deutschen PLM-Beratungspionier Ploenzke, an den inzwischen nicht mal mehr der Deutschlandsitz in Wiesbaden erinnert.
Im Vergleich zu den globalen Playern in anderen Märkten sind selbst die großen PLM-Anbieter ziemlich kleine Fische. Von daher muss man sich fragen, was wohl passieren würde, wenn einer der weißen Haie der Plattform-Ökonomie auf den PLM-Geschmack kommt. Oleg erwähnte in einem weiteren Blog-Beitrag mit dem interessanten Titel: Amazon, Augmented Reality Patents and PLM MRO Competition die Möglichkeit eines Aufeinandertreffens mit Amazon in den Downstream-Prozessen, die verschiedene PLM-Hersteller inzwischen mit MRO-Lösungen adressieren. Seine Schlussfolgerungen: PLM business will have to discover more downstream options to work with contractors, suppliers, sourcing and purchasing. [..] A potential clash between Amazon and PLM vendors is just a matter of time and Amazon business focus. Na das kann ein Blutbad geben.