Michael Wendenburg Online Redaktion

Aras ACE 2018 Europe: Überholspur für die digitale Transformation

Fast Track to Digital Transformation lautete das Leitmotiv der ACE 2018 Europe, der europäischen Anwenderkonferenz von PLM-Hersteller Aras, die in diesem Jahr in Hamburg stattfand. Mit etwa 350 Teilnehmern war die zweitägige Veranstaltung noch besser besucht als die des Vorjahres. Meine Gespräche mit Aras-Kunden und -Interessenten zeigten, dass viele Unternehmen erst dabei sind, auf der Beschleunigungsspur der Digitalisierung Fahrt aufzunehmen. Aras hingegen scheint das Wachstumstempo weiter verschärft zu haben.

Schroer_stage

Präsentationen von Großunternehmen wie Audi, BMW oder Dräger, aber auch von anderen namhaften Kunden wie z.B. dem weltweit führenden Hersteller von Lösungen für die Milchwirtschaft DeLaval machten deutlich, dass Aras seine Position auf dem europäischen Markt weiter ausbaut. Seit einer Dekade ist der amerikanische PLM-Hersteller auf dem alten Kontinent präsent, wie Europa-Chef Andres Müller zur Begrüßung sagte. Inzwischen entfällt rund ein Drittel des weltweiten Umsatzes auf den europäischen Markt, der laut CEO Peter Schroer zurzeit der am stärksten wachsende Markt ist. Aras wächst in diesem Jahr organisch und durch die kleineren Übernahmen wieder um fast 50%, sagte Schroer im Interview. Der weltweite Umsatz erreicht damit geschätzt ca. 75 Millionen US-Dollar.

Ein wichtiger Wachstumstreiber ist das Geschäft mit großen Automotive-Kunden, die ihre bestehenden PLM-Landschaften umbauen, um agiler auf die Herausforderungen der digitalen Transformation reagieren zu können. „Wir brauchen ein neues Selbstverständnis der Unternehmens-IT, die sich vom Supporter zum Enabler wandelt“, sagte Thomas Zöller von Audi. Der Automobilhersteller will die Grundsätze seiner IT-Architektur verändern und eine nutzer- bzw. domänenorientierte, kapazitätsgetriebene PLM-Umgebung unter Nutzung von Micro-Services und Best-in-Class-Software als Service (SaaS) aus der Cloud aufbauen, die einfacher zu bedienen, sicherer und agiler ist. Aras Innovator zeichne sich durch seine enorme Flexibilität aus, sagte Zöller, allerdings ohne zu erläutern, welche Rolle die Software in der Multi-PLM-Landschaft genau spielen wird.

In der Multi-PLM-Landschaft von BMW hat Aras diese Rolle als flexible Plattform für das Verifikation-Management gefunden. Verena Held von BMW erläuterte den Zuhörer die unterschiedlichen Prozesse von der Definition der Testaufgabe über die Bereitstellung der Prototypen für Hardware und Simulation bis zum Feedback der Testergebnisse, die Aras Innovator übernehmen wird. Ziel von BMW ist es, die Vielzahl an isolierten Systemen und Datenbanken zu ersetzen. BMW nutzt die Software in einer privaten Cloud. Sie soll bereichsübergreifend skaliert werden und ist in einigen Bereichen wie z.B. Active Safety bereits produktiv im Einsatz. Was noch fehlt sind spezielle Clients für die jeweiligen Anwendergruppen, wie Held sagte.

Drägers Reise in die PLM-Cloud
Auch Dräger, einer der international führenden Hersteller von Medizin- und Sicherheitstechnik, hat sich für ein Cloud-Szenario mit outgesourctem Application Management entschieden. Jan Neis von Dräger und Verena Gertz von Aras-Partner Cap Gemini, der Dräger gemeinsam mit Minerva und xPLM bei der Implementierung unterstützt, erläuterten den Teilnehmern die Reise zu einem zentralen PLM-System. Oder besser die Reisepläne, denn das Unternehmen steht noch am Anfang der Reise, wie Neis sagte. Ende des Jahres soll mit dem elektronisch signierten Design History File der erste Anwendungsfall live gehen. Dräger ist einer der ersten Anwender von Oracle Agile e6, d.h. der ehemaligen Eigner-Lösung Cadim bzw. Axalant, der den Umstieg auf die Aras-Software vollzieht.

ACE_Festsaal

Was die Implementierung bei Dräger so komplex macht ist die Tatsache, dass zwei bislang getrennt entwickelnde Geschäftseinheiten mit separaten Instanzen von Agile e6 und einem sehr großen Produktspektrum für unterschiedliche Märkte auf eine gemeinsame Plattform migriert werden sollen. Hinzu kommt, dass bei der Anbindung an die Cloud regulatorische Bestimmungen wie die Exportkontrolle für bestimmte Produkte und die dazu gehörige Dokumentation beachtet werden müssen. Ein agiler Ansatz und ein konsequentes Rollout-Management sollen den Projektabschluss bis Ende 2020 sicherstellen.

Der schwedische Hersteller von Lösungen für die Milchwirtschaft DeLaval ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die zunehmende Produktvarianz und -komplexität, aber auch die Komplexität der regulatorischen Bestimmungen, der globalen Organisation und der Prozesse und IT-Werkzeuge ohne ein leistungsfähiges PLM nicht mehr zu bewältigen sind. Nach einer strategischen SWOT-Analyse (Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threads) hat das Unternehmen entschieden, sein selbstgestricktes PDM-System durch Aras Innovator zu ersetzen. Obwohl in einem ersten Schritt nur die bestehende Funktionalität ersetzt wurde, sei die Konfiguration der Lösung, die Definition der Zugriffsrechte, die Integration der bestehenden IT-Systeme, aber auch die Schulung der Anwender und die Veränderung der Arbeitsweisen aufwendiger als erwartet gewesen, sagte Christian Poggensee von DeLaval: Insgesamt aber ist die Implementierung ziemlich gut gelaufen.

Bislang wenige Cloud-PLM-Kunden
Flexibilität ist eine der wesentlichen Stärken von Aras Innovator, die das Unternehmen auch mit Blick auf den Cloud-Einsatz nicht einschränken will: PLM in der Cloud muss letztlich dieselben Anforderungen erfüllen wie on premise, weil jeder Kunde etwas andere Workflows und Datenmodelle hat, sagt Schroer. Ich glaube auch nicht, dass vorkonfigurierte Lösungen für den Mittelstand die richtige Antwort sind, weil kleinere Unternehmen innovativ sein müssen, und das gilt nicht nur für ihre Produkte, sondern auch für ihre Prozesse und Geschäftsmodelle. Die Out-of-the-box-Strategie passt für kleinere Unternehmen nicht.

Nicht von ungefähr hat Aras-Partner T-Systems seinen Versuch, Aras Innovator als mehrmandantenfähige (multi tenant) Saas-Lösung mit gemeinsam genutzten Datenbanken und eingeschränkten Konfigurationsmöglichkeiten aus der Cloud anzubieten mangels Kundennachfrage wieder eingestellt. Aras hat daraufhin seine Cloud-Strategie etwas verändert und stellt die Software jetzt über Microsoft in der Azure-Cloud als Multi Tenant-Anwendung mit eigenständigen Datenbanken für die Verwaltung der kundenspezifischen Datenmodelle zur Verfügung.

Schroer schätzt, dass derzeit nicht mehr als zehn oder 15 Kunden Aras Innovator aus der Cloud nutzen. Einer der größten dürfte die Firma Microsoft selbst sein, die ihre bestehende On-Premise-Installation in die eigene Cloud migriert hat. Die Nutzung von Azure Cloud und Data Lake verbessere die Entscheidungsfindung, treibe kontinuierliche Verbesserungen voran, optimiere die Bereitstellung und ermögliche Advanced Analytics mit dem Microsoft-eigenen Power BI-Services, erklärte Boris Cononetz von Microsoft. Er verschwieg allerdings nicht, dass die Migration in die Cloud trotz sorgfältiger Vorbereitung mehrere Iterationsschleifen erforderte. Schlüssel zum Erfolg war die Integration in die bestehende IT-Landschaft, so dass die Anwender die Informationen z.B. zu elektronischen Bauteilen direkt in ihren Autorensystemen sehen.

Schroer_Interview

Viele Neuentwicklungen in der Pipeline
John Sperling, VP Product Management bei Aras, gab in seiner Keynote einen Überblick über die Neuerungen in Aras Innovator. Die MRO-Funktionalität von Impresa wird in Form mehrerer Applikationen zur Unterstützung des vollen Digital Twin-Lifecycles in die Plattform inkorporiert, ein Prozess, der längere Zeit in Anspruch nehmen wird. In der Zwischenzeit seien hybride Lösungen von Aras Innovator und der eigenständigen MRO-Lösung möglich, sagte Sperling. Auch die Lösung für das Simulationsprozess- und -datenmanagement von Comet Solutions soll nicht einfach in Aras Innovator integriert, sondern funktional auf Basis der Plattform nachgebildet werden.

Aras hat neue Plattform-Dienste für die Konfiguration von Produktvarianten entwickelt, die es erlaubt, Beziehungen und Constraints zwischen den Objekten im Variantenbaum zu definieren. Die bestehenden Funktionen für das Anforderungsmanagement sollen durch eine neue Applikation für das Requirements Engineering ersetzt werden, die allerdings noch nicht komplett fertig ist. Unterstützt wird bereits die Erfassung und Validierung von Anforderungen in einem strukturierten Dokument, mit der Möglichkeit, sie einzeln mit anderen Objekten zu verlinken. Allerdings ist es derzeit noch nicht möglich, sie außerhalb dieses Dokuments zu nutzen, was ihre Wiederverwendung erschwert. Außerdem erleichtert Aras den Zugang von externen Partnern zu der Plattform durch ein neues Authentifizierungs-Konzept, das u.a. eine gezieltere Vergabe von Zugriffsrechten für einzelne Projekte ermöglicht.

Auch an der Oberfläche von Aras Innovator tut sich einiges. Das betrifft zum einen die neuen Funktionen für das dynamischen Navigieren in der 3D-Produktstruktur, die Interaktion mit den 3D-Modellen und das Rendering auf Basis des Lifecycle-Status. Zum anderen hat Aras die Performance des Webclients verbessert und Möglichkeit geschaffen, Operationen auf mehrere Datensätze anzuwenden. Ab Release 12 wird der Client vollständig webbasiert sein und in einem Browserfenster laufen.

Übernahme von mehreren Firmen
In den letzten Monaten hat Aras das 2017 eingesammelte Venture Capital in Höhen von 40 Millionen US-Dollar auch genutzt, um eine Reihe von Firmenkäufen zu tätigen. Nach der Übernahme des Impresa MRO-Geschäfts von Infospectrum übernahm das Unternehmen den Hersteller von Simulationsdaten-Management Comet Solutions sowie zwei frühere Vertriebspartner in Italien und Großbritannien, die sich jetzt auf das Großkundengeschäft fokussieren werden. Mittelständische Kunden adressiert Aras weiterhin über Partner wie die Firma Minerva, die Vertrieb, Support und die Entwicklung von Zusatz-Software übernehmen. Außerdem arbeitet der PLM-Hersteller bei der Implementierung eng mit Beratungshäusern wie Cap Gemini zusammen, das in diesem Jahr Hauptsponsor der Veranstaltung war.

Aras plant weitere Übernahmen von Vertriebspartner und Softwarehäusern, um das Netz eigener Niederlassungen und die Kompetenzen in den Bereichen Configuration Management, Qualitätssicherung und Produktionsplanung auszubauen, wie Schroer weiter ausführte. „Unsere Vision ist, ganz am Anfang des Produktlebenszyklus mit Systems Engineering zu starten, die Erzeugung der Produktdefinition durch den gesamten Entwicklungsprozess bis in die Fertigung zu unterstützen und von dort Feedback an die Entwicklung zurückzuspielen.“

Eine eigene IoT-Plattform aufzusetzen, um Sensordaten aus Fertigung und Betrieb zu sammeln und auszuwerten, ist aber nicht geplant. Das ist durch Plattformen wie ThingWorx von PTC oder Microsoft Azure sehr gut abgedeckt, sagt Schroer. Nicht so gut abgedeckt ist hingegen das, was wir Digital Twin nennen. Um die IoT-Daten verstehen zu können, muss man das Configuration Change Management beherrschen. Das konsistente Management der gesamten Produktkonfiguration, einschließlich der Software und der Service-Informationen, sei Kernaufgabe von PLM und eine wesentliche Voraussetzung für die digitale Transformation, hatte Schroer schon in seiner Keynote betont.

ACE_Prostep

Update-Prozess soll schneller werden
Was digitale Transformation bedeutet, brachte Rob McAveney in seiner Präsentation der Aras-Vision und -Roadmap auf einen einfachen Nenner: Es gehe darum, die Informationen aus den Dokumenten herauszulösen und in eine vernetzte Struktur zu bringen, die es ermögliche, das Wissen zu extrahieren. Aus Lifecycle-Sicht müssten unvollständige und nicht miteinander verknüpfte Produktkonfigurationen zu einem Digital Thread verbunden werden. Die Mission von Aras sei es, bestehende Systeme über eine Plattform zu verbinden, Lücken zwischen ihnen zu schließen und den PLM-Untergrund der Excel-Listen zu ersetzen.

Um diese Mission zu erreichen, will Aras (wieder) schneller werden. Der Software-Hersteller hat in den letzten Monaten mehr als 100 neue Mitarbeiter eingestellt, vorwiegend in der Software-Entwicklung, was aber nicht automatisch zu einer Beschleunigung der Release-Zyklen geführt hat. Durch Parallelisierung der Arbeitsflüsse, agile Prozesse mit DevOps und eine stärkere Automatisierung der Qualitätssicherung will das Unternehmen die Entwicklung beschleunigen und eine kontinuierliche Verbesserung der Software sicherstellen.

Aras muss aber auch den Update-Prozess beschleunigen. Einige Kunden beklagten sich beim Networking, dass dieser Prozess mehrere Monate dauern könne, obwohl Aras sie bei der Aktualisierung ihrer Datenmodelle unterstützt. Die kundenspezifischen Datenmodelle zu aktualisieren sei weitgehend automatisiert und daure wenige Tage, kommentierte Schroer; was hingegen gerade bei kleineren Kunden ohne große IT-Abteilung viel Zeit koste sei das Testen, weil sie im Unterschied zu größeren keine automatischen Testsuites haben. Wenn wir ihnen zeigen, wie sie das Testen automatisieren können, werden Updates für alle schneller werden. Deshalb investieren wir sehr viel Geld in die Entwicklung von Werkzeugen und Methoden für das automatische Testen.

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