Vielleicht kommt ja alles auch ganz anders, als man denkt, eben weil der Mensch im Unterschied zum Computer denken kann und die Zukunft offen ist. Physiker Vince Ebert, bekannt als Fernsehmoderator und komödiantischer Querdenker, zeigte in seiner humorvollen Keynote über Big Dadismus – Gehört die Zukunft der Künstlichen Intelligenz? die Grenzen des Computers auf. Mit Hilfe von Big Data Analytics könne man nur Korrelationen, aber keine kausalen Zusammenhänge erkennen. Computer würden nie die menschliche Intelligenz und Kreativität ersetzen, denn sie wissen nicht was sie tun und hätten auch keinen Humor. Kreativität aber erfordere einen gewissen Schlendrian und gehe immer zu Lasten der Effizienz. Die Zukunft lässt sich nicht durch Algorithmen vorherbestimmen, postulierte Ebert: Freiheit, Fortschritt und Innovation gibt es nur um den Preis der Unvorhersehbarkeit.
Unbestreitbar benötigt der Mensch im digitalen Zeitalter neue Qualifikationen, ohne dabei bewährte wie die Sozialkompetenz zu vernachlässigen. Was den Studenten in der Lernfabrik der Zukunft beigebracht wird, erläuterten Prof. Vera Hummel und Beate Brenner, Beschaffungs-, Produktions- und Transportlogistik, Industrial Engineering an der ESB Business School Reutlingen den Teilnehmern. Die Lernfabrik kombiniert reale und virtuelle Fabrikumgebung auf Basis der 3DEXPERIENCE-Plattform, die in der Cloud läuft. Sie wird von der Fondation Dassault Systèmes mit einem „erklecklichen Geldbetrag“ gefördert, wie CFO Christian Speth betonte.
Kundenvorträge in den Breakout-Sessions
Mit etwa 360 Teilnehmern war das diesjährige 3DEXPERIENCE Forum ähnlich gut besucht wie die Vorjahresveranstaltung in Leipzig – allerdings nicht ganz so gut, wie die Veranstalter sich das gewünscht hätten. Wir setzen aber lieber auf Klasse als auf Masse, sagte Löckel. Auch das Layout der Veranstaltung ähnelte der des Vorjahrs: Ein runder mit Vorhängen vom Ausstellungs- und Bewirtungsbereich abgetrennter Vortragssaal mit einer runden Bühne in der Mitte für die Keynotes, um den sich die Stühle gruppierten, und vier Leinwänden am Rand des Runds für die Breakout-Sessions. Um den parallel laufenden Vorträgen folgen zu können, brauchten die Besucher nur den Stuhl in die gewünschte Richtung zu drehen, den Kopfhörer aufzusetzen und am Empfänger den entsprechenden Kanal einzustellen.
In den Breakout-Sessions referierten Kunden aus unterschiedlichen Branchen über ihre praktischen Erfahrungen mit der 3DEXPERIENCE-Plattform und den Software-Werkzeugen von Dassault Systèmes, darunter einige Startups, aber auch zahlreiche Vertreter führender Automobilhersteller und -zulieferer wie Audi, Bosch Automotive, Ford und Opel. Einen guten Überblick über die thematische Vielfalt bieten der Live-Blogs der beiden Veranstaltungstage, für die sich mein Blogger-Kollege Ralf Steck die Finger wund schrieb.
Spannend fand ich den Vortrag von Dr. Jörg Hilmann über die CAE-getriebe Konzeptentwicklung bei Ford. Die Ingenieure stehen in der frühen Konzeptphase, in der noch alles im Fluss ist, vor der Herausforderung, schnell „glaubwürdige“ Karosseriekonzepte vorzulegen, die den aktuellen Entwicklungsstand widerspiegeln. Die klassischen CAD- und CAE-Anwendungen aus der Serien seien dafür zu langsam, sagte Hilmann. Ford nutzt für die schnelle Erzeugung und Simulation von Konzeptmodellen deshalb die Software der Berliner Firma SFE, die 2013 von Dassault Systèms übernommen wurde, allerdings noch standalone, d.h. nicht integriert in die 3DEXPERIENCE-Plattform.
Der chinesische Süden dreht auf
Interessante Einblicke vermittelte auch die moderierte Paneldiskussion über die Kooperationsmöglichkeiten und geschäftlichen Perspektiven, die sich mittelständischen Unternehmen in China bieten. Insbesondere die Region Foshan in der südchinesischen Provinz Guandong bemüht sich in Kooperation mit der Deutschen Messe AG seit einigen Jahren intensiv um den deutschen Mittelstand, wie Quiang Rong, Repräsentant der Region sagte. Der chinesische Markt ist riesig, aber die Liberalisierung kommt erst langsam voran, wie Dr. Cora Jungbluth von der Bertelsmann Stiftung sagte; allerdings solle der Joint Venture-Zwang in der Automobilindustrie bald fallen. PLM-Experte Ulrich Sendler, der in den letzten Jahren mehrfach in China war, wies in diesem Zusammenhang auf einen interessanten Unterschied zwischen Süd- und Nordchina hin: Im Süden befänden sich 95% der Unternehmen in privater Hand, während es im Norden praktisch umgekehrt sei. Sendler empfahl, Copyright-Verletzungen durch chinesische Unternehmen nicht zu überbewerten. Wichtiger sei es, die Dynamik der chinesischen Wirtschaft zu verstehen, die sich ebenfalls in Richtung Plattformökonomie bewegt.
Mit neuen Geschäftsmodellen in die Zukunft lautete der vielversprechende Titel der abschließenden Paneldiskussion mit Lynn Thorenz, IDC Deutschland, Klaus Löckel und Frank Liptow von Homag, die allerdings wenig Neues zu Tage förderte. Im Wesentlichen geht es immer um die Frage, wie Unternehmen ihr Produktportfolio auf Basis digitaler Plattformen um neue Dienstleistungen erweitern können. Die größte Herausforderung bei der digitalen Transformation ist die Veränderung der Firmenkultur, wie Thorenz sagte. Auch das hat man schon mal gehört. Löckel forderte die Unternehmen auf, mutig in neue Technologien investieren und ihre IT Schritt für Schritt zu modernisieren.