Michael Wendenburg Online Redaktion

Warum findet Cloud PLM so wenig Anklang?

Obwohl die meisten PLM-Hersteller inzwischen Cloud-Dienste anbieten und die generelle Bereitschaft ihrer Kunden, sie zu nutzen, mit Blick auf den wachsenden Collaboration-Bedarf zugenommen hat, heben bislang nur wenige Anwender wirklich ab in die PLM-Wolke. Das sagt kein geringerer als Oleg Shilovitsky, der in seinem Blog Beyond PLM seit Jahren für Cloud PLM trommelt. Eines der größten Hindernisse auf dem Weg in die PLM-Cloud ist oft die Verankerung in der bestehenden PLM-Landschaft.

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Shilovitsky ist nicht der Einzige, der sich über die Cloud-Abstinenz wundert. Auch die Marktanalysten von CIMdata wollen jetzt in einer globalen, von führenden PLM-Herstellern gesponserten Markterhebung der Frage nachgehen, warum die Anwenderunternehmen so störrisch sind. Einige mögliche Antworten hat Shilovitsky in seinem Blogbeitrag Why Not Enough PLM Users Are On The Cloud? allerdings schon vorweg genommen.

An erster Stelle stehen, wie nicht anders zu erwarten, die Sicherheitsbedenken der Anwender. Allerdings sehen selbst die sicherheitsbewussten deutschen Unternehmen das Thema inzwischen etwas gelassener, vermutlich weil sie erkannt haben, dass ihre eigene IT-Infrastruktur oft viel gefährdeter ist als die eines seriösen Cloud-Betreibers mit einem hochsicheren Rechenzentrum. Jedes mittelständische Unternehmen muss sich heute tagtäglich gegen Hunderte von gefährlichen Virenangriffen zur Wehr setzen.

Dass ein Hightech-Unternehmen seine geheimsten Entwicklungsdaten in absehbarer Zukunft in die öffentliche Cloud schickt, ist dennoch schwer vorstellbar. Neben der Gefährdung des geistigen Eigentums sind Ausfallsicherheit und Zugänglichkeit weitere Hürden. Wie komme ich an meine Daten wenn das Internet bzw. der Cloud-Dienst durch einen massiven Hackerangriff lahmgelegt werden sollte? Und was passiert, wenn der Cloud-Provider seinen Dienst einstellt? Schließlich gehören PLM-Systeme heute zu den kritischen Anwendungen, ohne deren Funktionsfähigkeit schnell die Räder stillstehen.

Die meisten Unternehmen haben in den letzten Jahren mit mehr oder weniger großem Aufwand eine eigene PLM-Infrastruktur aufgebaut. Sie stehen damit vor der Frage, wie sie ihre bestehende Installation in die Cloud migrieren können, welcher Kostenaufwand damit verbunden ist und welche Einsparungen dem gegenüberstehen. Ein „Big Bang“, d.h. die Umstellung auf einen Schlag, verbietet sich wahrscheinlich aufgrund der genannten Sicherheitsbedenken. Wenn jedoch ein wesentlicher Bestandteil der PLM-Infrastruktur wie das CAD-Daten- und Dokumenten-Management weiterhin hinter der Firewall verbleibt und im Haus administriert und gepflegt werden muss, reduziert das zwangsläufig die Kostenvorteile des Cloud PLM-Einsatzes und auch andere Nutzeneffekte wie die „atmende“, d.h. schnell ausbaubare Infrastruktur.

Hinzu kommt, dass eine schrittweise Migration der PLM-Funktionalität in die Cloud die ohnehin schon komplexe IT-Bebauung vieler Unternehmen noch ein Stückweit komplexer macht. Sie müssen die Cloud-Anwendung in ihre bestehende PLM-Infrastruktur integrieren und die Interoperabilität der Cloud- und der Server-basierten Dienste und Prozesse über einen längeren Zeitraum sicherstellen. Abgesehen davon ist die Frage zu klären, welche PLM-Funktionalität überhaupt in der Cloud besser aufgehoben ist als innerhalb des Unternehmens.

Mir fällt da z.B. sofort das Thema Collaboration ein. PLM-Systeme bieten traditionell wenig Unterstützung bei der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit oder werden aufgrund von Sicherheitsbedenken dafür wenig genutzt. Eine Cloud-basierte Collaboration-Plattform mit PLM-Funktionen für CAD-Daten-, Dokumenten-, Projekt- und Change-Management sowie leistungsfähigen Integrationen zu den Legacy-Systeme der beteiligten Projektpartner würde die Steuerung und Abwicklung von verteilten Entwicklungsprojekten erheblich vereinfachen. Gleichzeitig wäre es eine perfekte Testumgebung, um losgelöst von der eigenen PLM-Landschaft die ersten Erfahrungen mit PLM in der Cloud zu sammeln.

Die Abhängigkeit von den bestehenden PLM-Lösungen ist nämlich nach Einschätzung von Oleg Shilovitsky eine wichtige Hürde für die Umsetzung einer Cloud-Strategie:
The longevity of PLM and related systems is amazing. And each (even SMB) manufacturing company has some system in place to manage product data and development processes. It is very hard to jump from existing system and established processes to something new. So, legacy system status quo is a significant inhibitor to move into fully blown cloud PLM strategy.

Das Erbe der bestehenden PLM-Systeme ist aber auch noch in anderer Hinsicht eine Last, um nicht zu sagen ein Ballast für den Aufstieg in die Cloud: Gerade bei Großunternehmen sind die Legacy-Systeme in aller Regel sehr stark kundenspezifisch angepasst. Oft so stark, dass das schon den Umstieg auf eine aktuellere Software-Version behindert bzw. zu einem zeitaufwendigen und kostspieligen Unterfangen macht. Beim Weg in die Cloud werden die Anwender notwendigerweise auf einen Großteil dieses Customizings verzichten müssen, um einen der wesentlichen Vorteile von Cloud PLM genießen zu können: Die kontinuierliche Aktualisierung und Verbesserung der Anwendung zu kalkulierbaren Kosten. Eine offene Frage ist, wie sich der Verzicht auf diese kundenspezifischen Ausprägungen auf die Akzeptanz der Cloud-Lösung auswirken wird.

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