Michael Wendenburg Online Redaktion

prostep ivip Symposium: Rekordbesuch und runder Geburtstag

Vor ein paar Tagen besuchte ich im MOC Veranstaltungscenter in München das prostep ivip Symposium 2018. Mit 700 Teilnehmern von mehr als 200 Anwenderfirmen, IT-Vendoren und Hochschulinstituten aus 21 Ländern verzeichnete das internationale Familientreffen der PLM-Branche einen neuen Besucherrekord. Komplett ausgebucht war die Party am Vorabend der Veranstaltung in den Gebäuden der BMW Group Classic, dort wo BMW – einer der Gründungsväter des Vereins – vor über 100 Jahren mit der Motorenproduktion anfing: Der Verein feierte in der ehemaligen Fertigungshalle seinen 25. Geburtstag.

Symposium18

Boosting Digital Realities in Engineering and Manufacturing lautete das Motto des diesjährigen Symposiums, mit dem der Verein deutlich machte, dass die Digitalisierung der Geschäftsprozesse nicht an der Produktentwicklung haltmachen darf. Eine ganze Reihe von Vorträgen beschäftigten sich mit der digitalen Fertigung, z.B. der Möglichkeit, digitale Fabrik und Shopfloor über einen Digitalen Twin zu verknüpfen, den Auswirkungen der additiven Fertigung auf die Wertschöpfungsketten oder der Rolle des 3D-Messdatenmanagements für ein vorausschauendes Qualitätsmanagement. Daneben spielte auch das Thema Systems Engineering (SE) wieder eine zentrale Rolle, wobei es leider immer noch zu wenige Vorträge über die Erfahrungen der Unternehmen bei der Implementierung des SE in ihre PLM-Lösungen und -Prozesse gibt. Hier hätte ich mir nach Jahren der akademischen Beschäftigung mit dem Thema etwas mehr Praxisbezug gewünscht.

Die Verlagerung der Wertschöpfung von der Hardware zur Software und Services erfordert nicht nur neue PLM-Architekturen, sondern auch eine andere Art der Implementierung. Die BMW Group will künftig 100-prozentig agil werden, was eine lange Reise bedeutet, weil das agile Vorgehen die Prozesse, Organisationsstrukturen und Kulturen verändert. Aber natürlich auch die Technologie: Wir müssen die Legacy-Welt ablösen, um in eine Welt des kontinuierlichen Deployments und Testings zu gelangen., sagte Chief Information Officer Klaus Straub in seiner Keynote über die agile Transformation bei BMW.

Wie die künftige PLM-Architektur des Unternehmens aussehen wird, wurde allerdings nur in Umrissen erkennbar. Fest steht, dass sich BMW entschieden hat, die hauseigene Software THAIS für das Stücklisten-Management durch PTC Windchill abzulösen, weil es die offenste Architektur bietet, wie Straub sagte. MicroServices und offene Standards seien zwingende Voraussetzung für die agile Transformation. Die IT-Strategie des Unternehmens unterscheidet künftig nicht mehr zwischen Fahrzeug- und Backend-IT, was laut Straub eine Revolution darstellt. Mauern zwischen Software-Entwicklung (Dev) und IT-Betrieb (Ops) werden eingerissen, um schneller auf neue Anforderungen reagieren zu können.

Digitalisierung und Vernetzung erzeugen einen gewaltigen Veränderungsdruck in den Unternehmen, weil sie bestehende Geschäftsmodelle in Frage stellen. Sie werden gewissermaßen dematerialisiert, wie Karl-Heinz Land in seiner Keynote über digitalen Darwinismus und Dematerialisierung zum Abschluss des ersten Veranstaltungstages erläuterte. Land ist Gründer der Strategie- und Transformationsberatung neuland. Alles was sich in Datensätze verwandeln lässt, wird digitalisiert, lautet eine seiner Thesen. Und alles was vernetzt werden kann, wird auch vernetzt, eine weitere. Deshalb müsse die Digitalisierung inhärenter Bestandteil der Unternehmensstrategie sein. Wer dafür eine Digitalisierungsstrategie brauche habe schon verloren.

Die Digitalisierung wird laut Land massive Auswirkung auf Wertschöpfungsketten und Arbeitsmarkt haben, aber auch zu einem dramatischen Rückgang des Ressourcenverbrauchs führen. Künstliche Intelligenz (KI) und Plattform-Ökonomie würden zu einer effizienteren Steuerung von Städten, Fabriken etc. und einer effizienteren Verwaltung des Überflusses beitragen: Teilen ist das neue Haben lautet das Credo dieser nachhaltigen Zirkularökonomie, in der die Menschen immer weniger arbeiten müssen.

Eine berechtigte Frage ist, auf wie viel Autonomie der Mensch in dieser schönen, digitalen Welt zu verzichten bereit ist. Kurt Bengel von der CENIT AG warf sie in seiner nachdenklichen Keynote auf: Wir werden künftig nicht am Mangel an Technologie, sondern am mangelnden Konsens über ihre Nutzung scheitern. Deshalb müssen wir den Diskurs lange vor ihrer Verfügbarkeit beginnen und überlegen, wie wir die Digitalisierung gestalten. Gerade die Deutschen seien Beharrungsweltmeister und würden auf Veränderungen eher reagieren, statt proaktiv zu handeln, meinte Bengel unter Berufung auf ein Interview in der Zeitschrift DIE ZEIT. Er empfahl, unsere Kompetenzen nach vorne zu verlagern und unsere Phantasie zu nutzen, um uns die Möglichkeiten der Zukunft auszumalen. Vernetztes Denken sei der Schlüssel zu erfolgreichen Transformationsprojekten.

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Insgesamt war die Agenda mit 40 Keynotes und parallel laufenden Vorträgen sowie 4 Workshops so prall gefüllt, dass man sich hätte vierteilen müssen, um überall reinhören zu können. Meine Eindrücke spiegeln deshalb notwendigerweise nur einen Ausschnitt des Symposiums-Geschehens wider, das außerdem durch 36 Aussteller abgerundet wurde, die in der Ausstellungshalle ihre Produkte und Dienstleistungen präsentierten. Auch das eine Rekordzahl, die für die Attraktivität der Veranstaltung spricht.

Der prostep ivip Verein hat sich in den letzten Monaten viele Gedanken darüber gemacht, welche neuen Themen für die digitale Transformation in Zukunft eine Rolle spielen werden und wie man sie agiler adressieren kann, um neue Akteure für die Vereinsarbeit gewinnen zu können und das Symposium noch attraktiver zu machen. Einige dieser Themen haben schon Eingang in die Agenda gefunden, z.B. die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) und Blockchain-Technologie. Der Verein will schnelllaufende Projekte zum Thema KI starten, um die Potentiale auszuloten. KI sei endlich nutzbar, aber man müsse sich Gedanken machen, wo sie einen Mehrwert für die industriellen Prozesse bietet, meine Armin Hoffacker, der neue Vorstandsvorsitzende des Vereins in der Keynote über 25 Jahren prostep ivip.

Das Symposium hat sich zu DER globalen Austauschplattform für die PLM-Verantwortlichen entwickelt, nicht nur die aus der Automobilindustrie, sondern auch aus anderen Branchen. Schiffbauer und Maschinenbauer haben immer mehr Interesse am Verein. Diese Öffnung spiegelt sich in den personellen Veränderungen auf Vorstandsebene wider: Mit Henrik Weimer von Airbus ist erstmals ein OEM-Vertreter in den Vereinsvorstand gewählt worden, der nicht aus der Automobilindustrie kommt. Zusammen mit Philipp Wibbing von der Unity AG, der die Nachfolge von Ulrich Ahle als Repräsentant der IT-Vendoren und Dienstleister angetreten hat, wird er sicher neue Akzente setzen.

Das nächste prostep ivip Symposium wird am 9. und 10. April 2019 in Stuttgart stattfinden. Einen Vorgeschmack auf die neuen Themen, die uns dort erwarten, gab Dirk Spindler von Automobilzulieferer Schaeffler in seiner Keynote zum Abschluss der Veranstaltung. Schaeffler ist der Industriesponsor des nächsten Symposiums. Vertrauen und Transparenz seien die Herausforderungen bei der Produktentwicklung in komplexen Netzwerken, die sich durch Nutzung der Blockchain-Technologie einfacher und schneller bewältigen ließen.

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