Michael Wendenburg Online Redaktion

Die Future PLM-Thesen werden (endlich) entdeckt

Rund zwei Jahre ist es her, dass eine Reihe von PLM-Experten aus Industrie und Forschung auf Initiative von Conweaver in einem Workshop darüber diskutierten, wie sich PLM neu erfinden muss, um die Herausforderungen bei Entwicklung, Fertigung und Betrieb smart vernetzter Produkte und Produktionssysteme besser zu adressieren. Ihre Future PLM-Thesen wurden von Conweaver und vom prostep ivip-Verein publiziert, zunächst allerdings ohne großen Nachhall zu finden. Inzwischen entdecken sowohl Anwender, als auch Beratungsunternehmen ihren praktischen Nutzen.

Kirchentür

Für sich selbst Werbung zu machen ist verpönt, ich weiß. Trotzdem möchte ich hier auf mein Interview mit Thomas Kriegel hinweisen, das gerade im PROSTEP-Newsletter erschienen ist. Kriegel ist Leiter Prozess-und Methodenentwicklung Systems Engineering bei Audi und hat das Future PLM-Thesenpapier als Leitfaden für die Umgestaltung der PLM-Landschaft im Rahmen einer umfassenden Systems Engineering-Initiative genutzt. Die Ingolstädter wollen mit Systems Engineering nicht nur die Komplexität der Produktentwicklung besser beherrschbar machen, sondern auch die Nachverfolgbarkeit der Entwicklungsschritte sicherstellen, weil das gerade mit Blick auf neue Themen wie das autonome Fahren extrem wichtig ist.

Eine der Kernaussagen des Thesenpapiers bzgl. der künftigen PLM-Architekturen ist, dass monolithische PLM-Systeme angesichts der gestiegenen Komplexität von Produkten und Prozessen keine Zukunft haben. Kriegel unterstreicht die Bedeutung dieser These: Was uns sehr geholfen hat, ist die klare Aussage, dass monolithische Systeme ausgedient haben. Das war sehr hilfreich, weil in vielen Köpfen immer noch die Vorstellung steckt, dass man alles mit einem bestimmten System lösen kann. Wir haben von Anfang an klar gemacht, dass das mit einem monolithischen Ansatz nicht funktionieren kann, dass es ein Konzert vieler Prozesse und Tools sein wird.

Auch andere Automobilhersteller und Systemlieferanten haben inzwischen von der Idee Abstand genommen, alle Anforderungen mit einem PLM-System erschlagen zu können. Die BMW Group verfolgt neuerdings eine Multi-Vendor-Strategie: Nachdem zunächst PLM-Hersteller PTC mit der Ankündigung überraschte, dass der Bayrische Automobilbauer für die Verwaltung von Produktions- und Beschaffungsstückliste sowie die Konfiguration großer und komplexer Fahrzeugstrukturen die PLM-Lösung Windchill nutzen wird, meldete vor kurzem Aras, dass die BMW Group Aras Innovator als PLM-Backbone für das Versuchsmanagement einsetzen wird.

Voraussichtlich mehr als 5.500 Mitarbeiter in verschiedenen Entwicklungsbereichen werden die Aras-Software bei der Planung, Disposition, Durchführung und Dokumentation von Fahrzeugversuchen einsetzen. Für die BMW Group ist insbesondere die hohe Flexibilität von Aras Innovator relevant. Die spezifischen Anforderungen aus dem Versuchsumfeld der BMW Group lassen sich mit Aras umsetzen, weil die PLM-Plattform nicht nur vorhandene Standardfunktionen liefert, sondern auch tiefgreifende Anpassungen zulässt, heißt es in der Pressemitteilung, die zweifellos mit BMW abgestimmt ist.

BMW ist nach Schaeffler der zweite Großkunde aus der deutschen Automobilindustrie, der sich für die Aras-Software entscheidet. Wobei Schaeffler sie in Ergänzung zu der bestehenden PLM-Infrastruktur nutzen wird, als eine schlanke Integrationsschicht, um den Zugang zu den Informationen in den verschiedenen Backendsystemen über disziplinenspezifische Cockpits zu erleichtern. Der Automobilzulieferer nutzte bei der Definition der künftigen PLM-Strategie zwar nicht die Future PLM-Thesen, weil sie damals noch nicht veröffentlicht waren; Laut Dr. Fabrice Mogo Nem, Leiter Engineering Data Management & Tools, decken sie sich aber hundertprozentig mit der strategischen Ausrichtung des Unternehmens.

Daten verlinken statt synchronisieren ist eine weitere Kernforderung des Thesenpapiers. Sie ist insbesondere mit Blick auf die notwendige Einbindung der bestehenden Legacy-Systeme in die neuen PLM-Architekturen von Bedeutung, weil ein radikaler Systemwechsel für die großen OEMs mit ihren gewachsenen Systemlandschaften nicht in Frage kommt. Über einen semantischen Linked Data Layer lassen sich die Informationen über System-, Prozess- und Unternehmensgrenzen hinweg miteinander verknüpfen und rollengerecht bereitstellen, erläutert Dr. Thomas Kamps, Geschäftsführer von Conweaver und einer der Autoren des Thesenpapiers. Auf Basis dieses Layers könnten auch Migrationsprozessen von der Ist- zur Soll-Architektur reibungsfreier gestaltet werden.

Audi untersucht derzeit verschiedene Konzepte der Daten-Verlinkung, um die Transition von Legacy- zu Neusystemen zu bewältigen. Kriegel geht davon aus, dass es auf eine klare Trennung von Datenhaltung und Workflow-basierten Systemen hinauslaufen wird. Man will Daten und Workflows über semantische Netze flexibel verlinken und denkt über den Einsatz von neuen Middleware-Lösungen nach, in die verschiedene Systeme eigeklinkt werden können, um über anwenderbezogene Portale oder Apps auf die Informationen zuzugreifen. Das hätte unter anderem den Vorteil, dass Alt- und Neusysteme gleichzeitig im Betrieb sein und gegebenenfalls in einem laufenden Fahrzeugprojekt ausgetauscht werden können.

Grundvoraussetzung für die Implementierung künftiger PLM-Architekturen und die Verlinkung der Informationen in den verschiedenen Systemen ist Offenheit im Sinne des Code of PLM Openness (CPO). wie sie auch im Thesenpapier gefordert wird. Eine Forderung, die bei Audi schon bei der Beschaffung berücksichtigt wird, wie Kriegel sagt: Wenn wir heute neue PLM-Hersteller beauftragen, ist das eine unserer ersten Anliegen im Lastenheft. Das ist für uns ein Muss. Wir haben im VW-Konzern so ziemlich alles im Einsatz, was es an PDM- und PLM-Systemen gibt, und müssen ständig dafür Sorge tragen, dass auch System-Wettbewerber miteinander agieren.

Praktisch alle namhaften PLM-Hersteller haben in den letzten Jahren die Selbstverpflichtung zur PLM-Offenheit unterzeichnet. Wie ernst sie es damit nehmen, können sie jetzt durch eine akkreditierte CPO-Zertifizierung unter Beweis stellen. Zu den ersten Unternehmen, die das CPO-Audit mit Bravour bestanden haben, gehört übrigens die PROSTEP AG. Das PLM-Beratungs- und Softwarehaus war ebenfalls an der Formulierung der Future PLM-Thesen beteiligt und nutzt sie heute als Grundlage, um Kunden bei der Definition ihrer PLM-basierten Digitalisierungsstrategie zu beraten, wie Dr. Bernd Pätzold, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens betont: Ohne zukunftssichere PLM-Architekturen kann unserer Überzeugung nach weder die digitale Transformation noch die Umsetzung von Industrie 4.0-Initiativen gelingen

Wenn Sie also über die Neugestaltung Ihrer PLM-Landschaft nachdenken, sollten Sie vielleicht auch mal einen Blick in das Thesenpapier werfen. Schaden kann es sicher nichts.

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