Michael Wendenburg Online Redaktion

Die SolidWorks World und des Kaisers neue Kleider

Dassault Systèmes präsentierte auf der SolidWorks World 2018 in Los Angeles neben den Fortschritten bei der Entwicklung der Cloud-CAD-Anwendung xDesign und Cloud-basierten PLM-Diensten für SolidWorks-Anwender seinen Traum von einem weltumspannenden Marktplatz für Fertigungsunternehmen und Zulieferer, natürlich alles auf Basis der 3DExperience-Plattform. Ich hatte selber keine Gelegenheit, an der Veranstaltung teilzunehmen, verfolge die Berichterstattung auf den einschlägigen Blogs aber mit großem Interesse. Und mit einer gewissen Verwunderung: Einige Themen, die da im Gewand von Cloud und IoT daherkommen, sind so fadenscheinig wie des Kaisers neue Kleider.

Kaiser

Oleg Shilovitsky erläutert in seinem Blogbeitrag Dassault Systèmes Big Dream die Vorzüge der Community & Enterprise Services des 3DExperience-Marktplatzes am Beispiel des SolidWorks PartSupply-Dienstes. Die Anwender können in dem Portal nach 3D-Kaufteilen suchen und sie im nativen Format ihres CAD-Systems zusammen mit den Stücklisten-Informationen herunterladen. Wenn es denn funktioniert. Nicht gerade eine neue Idee, auf die Anbieter von Teilemanagement-Software wie Cadenas schon vor langer Zeit gekommen sind und die sie vor allem zu einer höheren Praxisreife entwickelt haben. Aber das hindert die Träumer in den USA bzw. in Frankreich nicht daran, das Rad neu zu erfinden. Hauptsache invented here.

Das eigentliche Problem ist doch heute nicht mehr, irgendwelche 3D-Teile im Internet zu finden und herunterzuladen, sondern zu verhindern, dass der Teilebestand unnötig aufgebläht wird, weil identische oder ähnliche Teile bei unterschiedlichen Herstellern geordert und mit unterschiedlichen Artikelnummern neu angelegt werden – mit den bekannten Folgekosten für die Anlage, Verwaltung, Logistik und Lagerhaltung der Materialien. Nicht von ungefähr haben viele Unternehmen die Downloadmöglichkeiten eingeschränkt bzw. stellen ihren Konstrukteuren gezielt bestimmte Kataloge zur Auswahl.

Idealerweise ist das Teilemanagement so in die PLM-Lösung des Unternehmens integriert, dass der Konstrukteur über Sachmerkmalleiste oder Funktionen für den Geometrievergleich erst mal die vorhandenen bzw. schon mal verbauten Teile findet, bevor er sich in den Weiten des Internets auf die Suche nach Neuteilen begibt. Genau das ist im Übrigen der Ansatz der Cadenas-Lösung, der nicht so leicht nachzuahmen ist. Ich glaube deshalb nicht, dass sich Dassault Systèmes mit seinem Marketplace so einfach gegen die etablierten Anbieter wird durchsetzen können.

Was gibt es sonst noch Neues von der SolidWorks 2018 zu berichten? Auf eine vollständig Cloud-fähige CAD-Anwendung, an der die Softwareentwickler von SolidWorks schon seit Jahren herumbasteln, werden die Kunden noch etwas warten müssen. Laut Oleg Shilovitsky steht die neue xDesign-Software bislang nur ausgewählten Testkunden zur Verfügung, die auf der Veranstaltung ein paar Beispiele zeigen durften. Ansonsten gab es nicht viel weitere Informationen. Seine Schlussfolgerung sagt eigentlich alles:
The new strategy of SOLIDWORKS is to keep both desktop and cloud browser based tool for a very long time. My hunch was that this is what is going to happen. But SWW18 put this statement on record. So, customers should be getting ready for slow cloud migration, which is reminding the situation with Autodesk Fusion360 and Autodesk Inventor.

In der Zwischenzeit können sich die Kunden mit dem SolidWorks Product Designer, einer Hybrid-Lösung, an die Cloud-Experience herantasten. Wie Ralf Steck auf EngineeringSpot berichtet, handelt es sich dabei um ein CAD-System, das als Hybridsystem zwar eine Cloud-Anbindung hat, aber auch einen auf dem lokalen Rechner installierten Anteil hat. Die Modellierfähigkeiten entsprechen […] denen des heutigen Desktop-Systems. Im Unterschied zu SolidWorks ist es aber in einem App-Konzept aufgebaut – also stark modularisiert – und eben nicht mehr dateibasiert, die Daten werden in der 3DExperience-Cloud gespeichert. Product Designer kann SolidWorks-Dateien öffnen und ist durch seine Verankerung in der Cloud und die Power’by-Technologie auch mit Catia kompatibel.

Der Aufstieg in die Wolken, das ist meine Schlussfolgerung, wird sowohl bei PLM, als auch bei CAD langsam und beschwerlich sein und manchen Umweg über hybride Lösungen erfordern, die natürlich das Nutzenpotential schmälern. Deshalb müssen die Unternehmen immer den Business Case im Auge behalten. Es kann sicher nicht schaden, die neuen Möglichkeiten mal im Rahmen eines Pilotprojekts auszunutzen, immer vorausgesetzt, die Cloud-basierten Anwendungen sind so kompatibel wie behauptet wird. Ich habe meine Zweifel, ob sich CAD-Modelle zwischen dateibasierten und datenbankgestützten CAD-Systemen Anwendungen wirklich problemlos austauschen lassen – und vor allem in beide Richtungen, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.

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