Als CONTACT Software vor einigen Wochen die Lösungsbausteine CONTACT Elements for IoT ankündigte, hielt ich das zunächst für eine Me-too-Aktion. Auf der CONTACT Open World wurde jedoch deutlich, dass es sich nur um eine von zahlreichen Neuheiten und Weiterentwicklungen im Rahmen einer Gesamtstrategie handelt, die dem Ziel dient, die Entwicklung von smart vernetzten Produkten mit einem hohen Software-Anteil im Rahmen eines wirklich lebenslangen Product Lifecycle Managements zu unterstützen. Die Kohärenz der PLM- und IoT-Vision des Unternehmens beeindruckte sogar den amerikanischen PLM-Papst Oleg Shilovitsky, der erstmals an der zweitägigen Veranstaltung teilnahm.
CONTACT stellte in Fulda nicht nur neue Bausteine für den Aufbau von IoT-Plattformen vor, die Kunden in die Lage versetzen sollen, Daten aus dem realen Betriebsleben ihrer Produkte zu erfassen und mit Hilfe der integrierten Analysetools auszuwerten, um z.B. neue Services wie Predictive Maintenance anzubieten. (Die Analysetools stammen übrigens von der Firma Continuum Analytics). Der PLM-Hersteller hat außerdem sein PLM-gestütztes Anforderungs-Management erweitert, ein Konzept für die Integration von Werkzeugen und Methoden des Model Based Systems Engineering (MBSE) in PLM entwickelt und die Open Source-Lösung für das Application Lifecycle Management (ALM) von GitLab in die Technologie-Plattform CONTACT Elements integriert. Nicht zu vergessen den Umstand, dass die CONTACT Elements-Lösungen in Zusammenarbeit mit T-Systems in der Cloud bereitgestellt werden sollen, was Cloud-Fan Oleg Shilovitsky auf Wolke sieben katapultierte, so dass er die anderen Neuheiten in seinem Blogbeitrag über die Open World glatt aus den Augen verlor.
Mit der Integration von GitLab trägt CONTACT den Besonderheiten der Software-Entwicklung Rechnung, wie Frank Patz-Brockmann, Leiter Software-Entwicklung des PLM-Herstellers erläuterte. Software unterscheidet sich von mechanischen und elektronischen Komponenten dadurch, dass sie sehr agil geändert, weiter entwickelt und ausgerollt werden kann. Ihre Entwicklung erfordert deshalb andere Werkzeuge und Prozesse, die aber natürlich eng mit den übergreifenden PLM-Prozessen für Anforderungs-, Konfigurations- und Änderungsmanagement verzahnt sein müssen. Voraussetzung dafür ist eine integrierte PLM-ALM-Umgebung. Mit GitLab habe man eine ALM-Lösung integriert, die sich bei Software-Entwicklern einer hohen Akzeptanz erfreue, sagte Patz-Brockmann.
Die Entwicklung smart vernetzter Produkte und ergänzender IoT-Dienste erfordert darüber hinaus Werkzeuge und Methoden für die interdisziplinäre Zusammenarbeit, die zum Teil heute schon in den Unternehmen eingesetzt werden, aber noch nicht gut mit den Entwicklungsprozessen verknüpft sind. Im Rahmen des vom BMBF geförderten Verbundprojekts MecPro2 entwickelte CONTACT einen Lösungsansatz für die Integration des MBSE mit der Modelliersprache SysML in das PLM-System CIM Database, über den ich schon in einem früheren Blogbeitrag berichtet habe.
CONTACT hat die Einführungshürde für MBSE durch die Möglichkeit, Anforderungen automatisiert in SysML-Modelle zu überführen, weiter gesenkt. Dank der Integration der Software ReqMan von :em engineering methods können einzelne Anforderungen aus Lastenheften und anderen Dokumenten ausgelesen und über ReIF an das PLM-System gestützte Anforderungs-Management, aber eben auch an SysML-Editoren übergeben werden. Handlungsbedarf besteht jedoch noch bei der modellbasierten Supply Chain Collaboration bzw. der modellbasierten Systementwicklung an mehreren Standorten, wie Dr. Patrick Müller, Produktmanager PLM, erläuterte: Die Herausforderung ist das „Schneiden“ der SysML-Modelle, um sie an Zulieferer weitergeben zu können.
Ungeachtet der Tatsache, dass CONTACT die aktuellen Hype-Themen adressiert, glaubt das Unternehmen fest an die Zukunft von PLM. „PLM ist wichtiger denn je, um die wachsende Komplexität smart vernetzter Produkte beherrschbar zu machen“, sagte Geschäftsführer Karl Heinz Zachries. Das Unternehmen ist sich dabei der Tatsache bewusst, dass die wachsende Produktkomplexität nicht dazu führen darf, dass PLM noch komplizierter zu bedienen ist. Im Gegenteil, die Bedienung soll den Anwendern endlich Spaß machen. Deshalb investiert das Unternehmen zehn Produkt seiner Entwicklungs-Ressourcen in die Verbesserung der User Experience. Die Benutzerschnittstellen werden künftig vollständig webbasiert sein und lassen sich aus wieder verwendbaren Bausteinen wie z.B. der Social Media-Komponente Activity Stream rollen- oder anwenderspezifisch konfigurieren. Außerdem hat das Unternehmen unter dem Motto Geometry for Everybody die Möglichkeiten der 3D-Visualisierung im PLM-Kontext weiter verbessert.
Ich hatte leider nicht viel Zeit, mir die neue(n) Oberfläche(n) genauer anzuschauen, aber was ich gesehen habe sah – um es mit den Worten eines renommierten Schokoladenfabriken auszudrücken – quadratisch, praktisch und gut aus. Ich hoffe, die Anwender empfinden das ebenso. Vielleicht erleichtert ihnen die leichtgewichtige Bedienung auch die Exploration der neuen Möglichkeiten auf dem Gebiet der IoT-isierung von Produkten und Geschäftsprozessen. CONTACT will sie dabei nach Kräften beraten und unterstützen, aber der eine oder andere Kunde wird auch lernen müssen, über seinen Schatten zu springen. Die diesjährige CONTACT Open World hat gezeigt, dass es möglich ist, ein wenig Bodenständigkeit abzustreifen, ohne gleich die Bodenhaftung zu verlieren.