Als überraschenden Schachzug bezeichnet das Portal Engineering.com die Verpflichtung Affusos durch den amerikanischen PLM-Hersteller Aras. Das 2000 von Peter Schroer, dem ehemaligen US-Chef des deutschen PLM-Pioniers Eigner + Partner, gegründete Unternehmen ist so etwas wie der Tesla der PLM-Branche. Anfangs für sein innovatives Geschäftsmodell (keine Lizenzgebühren, jährliche Subskription etc.) von vielen Mitbewerbern belächelt, hat es sich inzwischen durch spektakuläre Aufträge Respekt verschafft. Laut Engineering.com hat Aras in weniger als zwei Jahren mehr als 200.000 neue Anwender bei Großkunden wie Airbus, Microsoft oder General Motors gewinnen können. In Deutschland wird z.B. die Schaeffler-Gruppe künftig die Aras-Plattform als system- und disziplinenübergreifendes Engineering Cockpit nutzen.
Erfolg macht bekanntlich sexy, und dieser Anziehungskraft können auch alte PLM-Hasen nicht widerstehen: Aras verfolgt ein Geschäftsmodell, das stark auf disruptive Technologien, Open Source und die Konzentration auf beziehungsweise Interaktion mit Kunden setzt. Diese Tatsache und der Umstand, dass sich mehrere globale Marktführer aus der Fertigungsbranche kürzlich für Aras entschieden haben, bestärkten mich in dem Entschluss, Teil des Unternehmens zu werden, erklärt Affuso der Pressemitteilung von Aras zufolge, und fährt fort: Meiner Ansicht nach ist Aras mit der richtigen Technologie zum richtigen Zeitpunkt präsent und damit auf dem Weg zum neuen PLM-Marktführer.
Neben dem innovativen Geschäftsmodell gründet der Erfolg von Aras auf einer modernen, leichtgewichtigen Software-Architektur mit Daten-Verlinkung und Repository-Technik, die einfacher, um nicht zu sagen agiler implementiert werden kann als herkömmliche PLM-Systeme und die auch die Übernahme der kundenspezifischen Anpassungen bei Updates wesentlich erleichtert. Mithin ein ziemlicher Gegenentwurf zur Teamcenter Unified Architecture (UA), in der zu Affusos Zeiten das High-end-System Teamcenter Enterprise bzw. Metaphase und Teamcenter Engineering (iMan) zusammengeführt wurden. Sie ist nach Überzeugung eines erfahrenen Branchenkenners ursächlich für die mangelnden Customizing- und Plattform-Eigenschaften der Siemens PLM-Lösung, weshalb das System in seiner Rolle als Team Data Management für die M-CAD-Daten stecken geblieben sei.
Ganz kann ich dieser Auffassung nicht folgen, da sie allzu einseitig die Rollenverteilung zwischen Teamcenter und Aras bei General Motors widerspiegelt. Bei Ford, wo ich unlängst war, sieht die Situation z.B. ganz anders aus. Dort wird Teamcenter als zentrales Backbone für das disziplinenübergreifende Anforderungsmanagement und Model Based Systems Engineering (MBSE) eingesetzt. Richtig ist aber, dass die Lösung von Siemens PLM aufwendiger zu implementieren und zu unterhalten ist als die Aras-Software.
Alles deutet jedenfalls darauf hin, dass Aras mit dem „Schachzug“ vor allem die Kunden von Siemens PLM in Zugzwang bringen will. Oleg Shilovitsky bezeichnet Aras in seinem Blog-Beitrag What CAD & PLM Products Are Ready For Disruption als potential disruptor to Teamcenter community. Der erwähnte Branchenkenner wird sogar noch deutlicher: Gerade Metaphase-Kunden oder gescheiterte TC UA-Kunden entsprechen dem „Beuteschema“ von Aras. Was liegt da näher, als Tony Affuso – einen intimen Kenner der Siemens PLM-Welt – in das Aras Board zu integrieren?
Und was sagt Siemens PLM Software zu den Hintergründen des Seitenwechsels ihres früheren Vorstandsvorsitzenden? Nichts. Da von Corporate kein offizielles Statement vorliege, sähe man von einer Stellungnahme ab, sagte eine Pressesprecherin.