Anders gesagt: PLM ist nicht per se komplex. Selbst die viel gescholtenen monolithischen Systeme lassen sich mit sehr begrenztem Funktionsumfang relativ einfach out oft he box implementieren und sind auch nicht so aufwendig in der Wartung wie oft behauptet wird. Der Aufwand rührt daher, dass PLM in den Unternehmen nie auf der grünen Wiese implementiert wird, selbst wenn das betreffende Unternehmen seine Produktdaten vorher filebasiert verwaltet hat, was immer noch erstaunlich oft anzutreffen ist. PLM trifft immer auf eine bestehende IT-Systemlandschaft, in die es integriert werden muss, und vor allem auf eine gewachsene Prozesslandschaft, die es abbilden muss. Die meisten Unternehmen sind nicht bereit oder willens, diese Landschaft an das PLM-System anzupassen, entweder weil sie glauben, dass ihre Prozesse besser sind als die Best Practise-Vorlagen, die der Systemhersteller vielleicht vorschlägt, oder weil sie ihren Anwendern keine grundlegende Veränderung der Arbeitsweisen zumuten wollen.
Deshalb bin ich nach wie vor skeptisch, was die Zukunft von PLM aus der Cloud anbelangt, zumindest in der Form eine mehrmandantenfähigen SaaS-Lösung mit eingeschränkten Customizing-Möglichkeiten nach dem Vorbild von Salesforce. Im Übrigen ist nicht die Technologie die größte Herausforderung, mit der die Unternehmen bei PLM ringen, wie die Cloud PLM-Marktstudie von CIMdata gezeigt hat, sondern organisatorische Themen wie die funktionsübergreifende Koordination der verschiedenen Disziplinen. Das wird durch die Cloud nicht automatisch einfacher.
Doch zurück zum Thema PLM und Komplexität. Ich glaube, dass in der Diskussion systematisch die Begriffe kompliziert und komplex verwechselt werden. Ein kompliziertes Problem lässt sich durch Wissen lösen. Wenn man weiß, was der Anwender tun möchte, kann man eine komplizierte Bedienerführung sicher vereinfachen. Komplexität hingegen bezieht sich auf die Dynamik und Unberechenbarkeit eines vernetzten Systems, d.h. ein komplexes Problem wird durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt, deren Einfluss aufeinander man nicht genau kennt und der sich verändern kann. D.h. mit anderen Worten, PLM kann zwar kompliziert sein, wird aber wird erst durch die Wechselwirkung mit der Organisation und den Prozessen komplex. Diese Komplexität lässt sich nur bis zu einem gewissen Maße vereinfachen, denn wie sagte der amerikanische Journalist und Schriftsteller Henry Louis Mencken so schön: For every complex problem there is an answer that ist clear, simple and wrong.
In einem Blog über Organisationsanalyse, Business-Analyse und Digitale Transformation habe ich eine interessante Empfehlung zum Umgang mit Komplexität gefunden: Komplexe Probleme kann man von einem gewissen Punkt an gar nicht mehr auflösen, gar nicht mehr darstellen und somit auch gar nicht mehr verstehen. Auch das gilt es zu akzeptieren, ganz so, wie die Komplexität selbst. Entsprechend muss die Lösung, muss der gewählte Umgang mit dem Problem über Variablen und Optionen verfügen, und er muss iterativ sein. Ausprobieren, korrigieren, ausprobieren, korrigieren, … So lernt man den Umgang mit Komplexität. Wie im Leben auch.
Insbesondere in der Automobilindustrie scheinen viele Unternehmen das zu beherzigen, indem sie bei der Implementierung neuer IT-Lösungen für die digitale Transformation einen agilen Weg einschlagen. Dem müssen aber auch die PLM-Hersteller Rechnung tragen und neue Funktionen agiler bereitstellen als sie dies in der Vergangenheit getan haben.