Michael Wendenburg Online Redaktion

Wo gibt es das noch? Aras präsentiert Produkt-Roadmap

Produkt-Roadmap und Release-Plan? Papierblöcke zum Mitschreiben? Im Vergleich zu den visionären Anwenderkonferenzen der großen Mitbewerber, die ich in den letzten Wochen besucht habe, war die Aras ACE 2017 in München geradezu erfrischend altmodisch. Was nicht heißen soll, dass Aras keine Vision hätte. Ähnlich wie Siemens PLM Software positioniert der 2000 gegründete „PLM-Newcomer“ seine Software als Product Innovation Platform, die Kunden bei der digitalen Transformation ihrer Geschäftsprozesse unterstützen soll; nicht nur in Entwicklung und Fertigung, sondern künftig auch im Kundendienst. Bei Siemens PLM heißt das allerdings Digital Innovation Platform.

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Die Aras-Lösung gehe über PDM und PLM hinaus, erklärte Peter Schroer, Gründer und CEO des Unternehmens in seiner gemeinsamen Keynote mit Martin Allemann, dem Senior Vice President Global Operations. Während andere PLM-Hersteller jedoch ein neues Etikett für ihr wachsendes Produktportfolio suchen, bleibt Aras bei seinen Leisten: Wir sind ein PLM-Software-Anbieter, denn wir machen Product Lifecycle Management von der ersten Idee über das Anforderungsmanagement, die Entwicklung und Konstruktion bis zur Fertigung und jetzt auch bis zum Kundendienst, sagte Schroer im Interview. Eigentlich mag ich den Begriff Product Innovation Platform gar nicht, weil das Wort Innovation dem Kunden suggeriert, es gehe nur um das Design. Ebenso wichtig sind aber Fertigung, Kundendienst und der Feedback-Loop in die Entwicklung mit Hilfe von IoT. All das zusammen ist PLM.

Was Aras auszeichne sei der Plattform-Ansatz, führte Schroer weiter aus: Eine skalierbare Plattform mit vielen Anwendungen oben drauf, die mit dem Qualitätsverantwortlichen, dem Systems Engineer oder mit anderen Rollen kommunizieren. Maintenance, Repair & Overhaul ist die nächste Applikation, die wir auf der Basis unserer Plattform anbieten werden. Eine Plattform, auf der auch die Aras-Partner und -Kunden eigene Lösungen entwickeln können. Eine ihrer Stärken ist, dass kundenspezifische Lösungen genau wie die eigenen Anwendungen behandelt werden, so dass sie einfacher aktualisiert werden können.

Schroer beschreibt das Geheimnis der Upgrade-Fähigkeit: Kern unserer Plattform ist eine Modeling-Engine. Wenn wir eine neue Anwendung entwickeln, z.B. für das Anforderungsmanagement, beschreiben wir nur Datenmodell, Prozessmodell, Verhalten und User Interface und die Beschreibung läuft dann auf der Modeling-Engine. Es spielt keine Rolle, ob es sich um eine unserer Anwendungen, eine Kunden- oder eine Partner-Anwendung handelt. Das Prinzip ist das gleiche.

Die PLM Plattform von Aras lässt sich deshalb sehr einfach in der Cloud einsetzen, wobei Aras nicht selbst als Cloud-Anbieter auftritt, sondern diese Rolle Partnern wie T-Systems oder Microsoft überlässt. Wir verstehen uns als SaaS-Anbieter, der seinen Kunden vollen Turnkey-Support bietet, unabhängig davon, ob der Kunde die Software in der Cloud nutzen oder in seinem eigenen Rechenzentrum installieren möchte, sagt Schroer. Was ich nicht verstehe ist, warum die Kunden keine Bedenken haben, ERP und CRM aus der Cloud zu nutzen, aber ihre Engineering-Daten nicht in die Cloud schicken möchten. Alles eine Frage der Zeit: Einer unlängst von ICD veröffentlichen Studie zufolge hat die Akzeptanz für Cloud PLM in den letzten 12 Monaten spürbar zugenommen.

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Aras ist einer der am schnellsten wachsenden PLM-Hersteller der Welt, mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 47% und einem Umsatz, der im laufenden Jahr schätzungsweise 50 Millionen US-Dollar erreichen wird. Umsatzzahlen veröffentlicht das Unternehmen nicht gerne, weil sie aufgrund der mehrjährigen Subskriptionsverträge mit Kunden nicht eins zu eins mit den Lizenzeinnahmen anderer PLM-Hersteller vergleichbar sind. Schroer bestätigte die Zahlen jedoch im Interview. Der Umsatz verteilt sich zu etwa gleichen Teilen auf Nordamerika, Europa und Asien, wie Martin Allemann sagte. Im letzten Jahr hätten ca. 200 neue Kunden Subskriptionen unterzeichnet, im laufenden schon über 300, und 98% der Kunden würden ihre Subskriptionen verlängern.

Das innovative Subskriptionsmodell von Aras, das Interessenten die Möglichkeit bietet, die Software kostenlos herunter zu laden und zu testen, ist sicher einer der Erfolgsfaktoren. Das war allerdings nicht von Anfang an so, wie Schroer sich erinnert: Als wir 2007 auf das OpenSource-Modell umstellten, waren wir erst mal der am langsamsten wachsende PLM-Hersteller. Wir mussten eine Weile warten, bis sich der Erfolg des Network-Marketing-Modells einstellte. Man überzeugt einen Kunden, der dann wieder andere überzeugt usw. Erst 2013 erreichten wir eine kritische Masse, und seitdem wachsen wir exponentiell. Im nächsten Jahr peilen wir ein etwas geringeres Wachstum von 40 bis 50% an, weil wir erst neue Leute einstellen und trainieren und auch unsere Partner weiter entwickeln müssen.

Vor ein paar Monaten hat Aras von einer Investorengruppe um Venture Capital-Geber Silver Lake eine Finanzspritze in Höhe von 40 Millionen US-Dollar erhalten, die es dem Unternehmen ermöglicht, sich noch schneller vorwärts zu bewegen. Das Investment von Silver Lake wird aber weder an unserem Vertriebs- und Subskriptionsmodell, noch an unserem Open PLM-Ansatz und unserer Community etwas verändern, sagte Allemann. Kunden und Community würden weiter die Roadmap der Entwicklung bestimmen.

Wie diese Roadmap aussieht erläuterte Chief Software Architect Rob McAveney den etwa 300 Teilnehmern des diesjährigen Anwendertreffens. Aras werde das Venture Capital vor allem nutzen, um die Plattform auszubauen und die Community in die Lage zu versetzen, mehr Projekte darauf zu realisieren. Die Roadmap sieht unter anderem vor, den PLM-Funktionsumfang in den Bereichen Innovationsmanagement, Simulationsdaten- und -prozessmangement, Manufacturing Execution und Maintenance, Repair & Overhaul zu erweitern. Der Service-Lifecycle sei fester Bestandteil des Produktlebenszyklus, betonte McAveney. Deshalb müsse man Servicedaten erfassen und als As-Serviced-Konfiguration in den Digital Twin des Produkts zurückspielen können.

Auf Wunsch vieler Kunden wird Aras auch die Benutzerführung der Software und ihre Performance im Internet Explorer und in Firefox verbessern, wie John Sperling sagte. Das Unternehmen hat ein dediziertes Team von GUI-Designern zusammengestellt, das sich um die Gestaltung der graphischen Benutzeroberfläche kümmert. Die Bedienung der Software soll komfortabler werden, z.B. durch leistungsfähigere Suchfunktionen oder die Möglichkeit, mehrere Objekte auf einmal zu ersetzen bzw. ihnen Attribute zuzuweisen. Sie soll einfacher personalisierbar sein und integrierte Funktionen für die 3D-Visualisierung und die graphische Visualisierung von Beziehungen erhalten. Durch Verlinkung von PLM-Informationen und 3D-Geometrie wird es z.B. möglich sein, den Status bzw. Reifegrad eines Modells visuell zu kommunizieren – eine Möglichkeit, die andere PLM-Systeme schon länger bieten.

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Außerdem soll die PLM-Plattform offener und mit anderen Unternehmensanwendungen wie ERP, CRM oder CRM, aber auch mit Autoren-Tools für das Model Based Systems Engineering (MBSE) leichter vernetzt werden können. Patrick Willemsen erläuterte den Teilnehmern in einer der Breakout-Sessions, die überraschend gut besucht war, wie Aras MBSE in PLM integrieren will. Die Integration sei wichtig, um die semantischen Informationen aus MBSE über den ganzen Produktlebenszyklus nachvollziehbar managen und bei Bedarf wieder verwenden zu können.

Ich vermute mal, dass die verstärkten Anstrengungen auf dem Gebiet des Systems Engineerings auch damit zusammenhängen, dass die Audi AG im Rahmen des Audi Systems Engineering Programs (ASE) den Einsatz der Aras-Plattform evaluiert. Martin Neff erläuterte den Teilnehmern den aktuellen Stand und die Zielsetzung des ambitiösen Vorhabens, mit dem der Automobilhersteller die bestehenden Silos aufbrechen und die Entwicklungsorganisation auf eine neue Grundlage stellen möchte. Das erfordert natürlich auch eine neue IT-Infrastruktur: Unsere Idee ist ein Data Lake mit allen Legacy-Daten und durchgängige Workflows auf Basis einer Plattform, über die alle Prozessbeteiligten auf die Informationen zugreifen können, sagte Neff.

In eine ähnliche Richtung gehen die Vorstellungen bei Automobilzulieferer Schaeffler, der sich vor ein paar Monaten für den Einsatz der Aras-Software entschieden hat – nicht um bestehende IT-Systeme zu ersetzen, sondern um sie zu orchestrieren, wie Dirk Spindler, Senior Vice President R&D Processes, Methods and Tools sagte. Schaeffler versucht, seinen bestehenden Entwicklungsprozess fit für die Anforderungen der interdiszipinären Entwicklung cybertronischer Produkte zu machen und bis 2023 einen durchgängig modellbasierten Produktentstehungsprozess zu implementieren. In einem ersten Schritt entwickelt das Unternehmen auf Basis der PLM Plattform von Aras ein Engineering-Cockpit, das den Ingenieuren alle relevanten Informationen über Service Requests bereitstellt und wesentliche Funktionen wie Änderungs- und Konfigurationsmanagement sowie die Informationssuche und das Reporting übernimmt. Ziel ist, dass der Ingenieur neben dem Cockpit nur noch zwei IT-Systeme bedienen muss, wie Spindler sagt. Weitere Cockpits für Vertrieb, Fertigung, Supply Chain und Service sollen folgen.

Aras hat seine Platform bisher weitgehend aus eigener Kraft entwickelt. Schroer wollte nicht ausschließen, dass man in Zukunft auch die eine oder andere Akquisition tätigen werde, allerdings wohl eher nicht im IoT-Umfeld: IoT hat meiner Meinung nach sehr wenig mit PLM zu tun. Es geht um elektronische Sensoren und APIs (Application Programming Interface), um Datenserien in die Cloud zu schicken. Diese Daten haben in einem PLM-System eigentlich nichts zu suchen, sagte Schroer. Vorrangige Aufgabe von PLM sei es, Unternehmen bei der Entwicklung dieser mit Sensoren ausgestatteten Produkte zu unterstützen und den Cloud-Plattformen bzw. ihren Analysetools PLM-Informationen wie die Produktkonfiguration bereitzustellen, um die Sensordaten korrekt interpretieren zu können. Die IoT-Strategie von Aras sieht deshalb enge Partnerschaften mit großen Plattform-Providern wie der IBM vor, um deren künstlich intelligenten Kollegen Watson kombinieren zu lassen.

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