Michael Wendenburg Online Redaktion

VPE-Tagung Kaiserslautern: Von Future PLM zu SysLM

Die jährliche Tagung des Lehrstuhls für Virtuelle Produktentwicklung (VPE) der TU Kaiserslautern hat sich zu einem wichtigen Treffpunkt für PLM-Experten entwickelt, die über den Tellerrand des Produkt Lifecycle Managements hinausblicken wollen. 140 Teilnehmer trafen sich in diesem Jahr im Brauhaus an der Gartenschau in Kaiserslautern, um sich über die Theorie des System Lifecycle Managements (SysLM) und ihre praktische Bedeutung für Themen wie Model Based Systems Engineering (MBSE) oder Internet of Services (IoS) zu informieren. Im Interview erläutert Prof. Martin Eigner als Gastgeber der Tagung die wichtigsten Erkenntnisse der diesjährigen Veranstaltung.

SysML_Sketch

Frage: Ist SysLM wirklich die goldene Zukunft von PLM? Oder warum hat das VPE den Namen der Future PLM Tagung geändert?

Eigner: Seien wir doch mal ehrlich: Als der Wechsel von PDM zu PLM kam hat sich überhaupt nichts geändert, wir sahen dieselben Anbieter und dieselben Systeme. Von ganz wenigen Anwendungen abgesehen konzentriert sich der sogenannte PLM-Einsatz auch heute noch auf die Verwaltung der CAD-Daten und meist nur der mechanischen CAD-Daten. Das greift unserer Meinung nach zu kurz. In unseren beiden Leuchtturm-Projekten mecPro² (IoT) und InnoServPro (IoS) haben wir deshalb den PLM-Ansatz um die Anforderungen und Systemarchitektur in der frühen Phase und um das Service Lifecycle Management in der späten Phase des Lebenszyklus erweitert. Und zwar nicht mehr nur des Produktlebenszyklus, sondern des Lebenszyklus cybertronischer Systeme. SysLM ist für uns also PLM plus Application Lifecycle Management (ALM) plus Service Lifecycle Management (SLM).

Frage: Managing Digital Twins Using Federated, Lightweight System Lifecycle Management Solutions lautete der Titel eines Deiner Vorträge. Warum braucht man diesen Ansatz?

Eigner: Die Kernaussagen meines Vortrages waren:
• Der monolithische Ansatz ist wegen seines hohen Pflegeaufwandes und seiner Redundanz möglich aber nicht optimal. Bimodale IT ist agil, flexibel und auf Basis von Web-Technologien wie REST, RDF, OSLC etc. verlinkt. Wir nennen das light weight federated backbone.
• Die erfolgreiche Einführung traditioneller PLM-Systeme scheitert im Wesentlichen am hohen einmaligen Aufwand für das erste Customizing und vor allem dann am nochmaligen Aufwand von ca. 30% bei jedem Upgrade der PLM-Basisversion. Das ist bei heutiger IT-Technologie einfach anachronistisch!
• SysLM bedeutet Administration und Prozessumsetzung über den gesamten Produkt/System Lifecycle. Die Basis dazu ist der Digitale Master oder das Digitale Modell.
• Der Digitale Twin ist die absolute Voraussetzung für Service-orientierte Geschäftsmodelle. In den neuen PLM Ansätzen von BMW und Daimler sind die Ableitung und Verwaltung des digitalen Twins bereits verankert.

SysML_Vision

Frage: Aber Du sagst doch immer, dass es DEN digitalen Zwilling nicht gibt. Dann müsste es in bestimmten Fällen doch auch der „monolithische“ Ansatz tun, oder?

Eigner: Das hat eigentlich nichts miteinander zu tun. Natürlich gibt es mehrere Arten von Digitalen Twins, z.B. im Prototypenbau, in der Produktion und dann über den operativen Betrieb für den Service. Der monolithische Ansatz kann das leisten aber eben nicht effizient.

Frage: Innovationsforscher Liske referierte über die Auswirkungen exponentieller Innovationen in der Automobilindustrie. Sind unsere deutschen Automobilhersteller darauf vorbereitet?

Eigner: Zunächst einmal war der Vortrag genial und hat viele Zuhörer zum Reflektieren gebracht. Innovation ist nicht nur IoT und IoS, sondern eine Vielzahl von Technologien: Neue Materialen, aus der Biologie abgeleitete Strukturen, gesteuerte Materialverformung, neue Human Machine Interfaces, neue Organisationsstrukturen und total neue Mobilitätsformen etc. Die Industrie ist sicher nicht auf die Vielfalt dieser Innovationen technisch, mental und organisatorisch vorbereitet.

Frage: Welche Rolle spielen Engineering & Industrial Analytics für den Erfolg neuer, serviceorientierter Geschäftsmodelle? Ist das eine Kernkompetenz oder kann man das outsourcen?

Eigner: Die Gestaltung von serviceorientierten Geschäftsmodellen muss bereits in der Konzeptphase in den Anforderungen und der Systemarchitektur verankert werden. Somit ist eine Erweiterung des Engineerings um die vierte Disziplin Service neben Mechanik, Elektrik/Elektronik und Software absolut notwendig. Die Analytics Funktionen sind Intellectual Property des Produzenten. Die Erstellung der Regeln und Constraints kann natürlich extern vergeben werden.

Eigner

Frage: Welche Geschäftsprozesse werden sich unter dem Einfluss der Digitalisierung Deiner Einschätzung nach am stärksten verändern.

Eigner: Engineering und Service. Von den Engineering-Prozessen sind es dann das interdisziplinäre Änderungs- und Konfigurationsmanagement, das auch wiederum im SysLM-Ansatz eingebunden ist.

Frage: Und wo geht die Reise hin? Welche Zukunftsthemen werden die nächste Tagung bestimmen?

Eigner: Wir hatten, ausgelöst durch den Industrie 4.0-Hype, bisher zwei Wellen: Die eine beschäftigte sich mit Produktionsoptimierung, die andere mit serviceorientierten Geschäftsmodellen. Wir vom VPE sehen es für dringend notwendig an, dass der Gesichtspunkt des Engineerings, das ja diese ganzen Voraussetzungen für digitalisierte Produkte und Dienstleistungen schaffen muss, in den folgenden Jahren einen dominanten Forschungsschwerpunkt darstellt. Erste Ansätze über Engineering 4.0-Studien beim BMBF deuten auch darauf hin. Insofern wird der Schwerpunkt der nächsten Tagung im Bereich Digitized Engineering bzw. Engineering 4.0 liegen.

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