Die pyramidale Supply Chain in der Automotive-Industrie mit den OEMs an der Spitze und dem starken Mittelbau der großen Systemlieferanten (Tier1), die wiederum die Zulieferer der zweiten und dritten Reihe an der Basis koordinieren und kontrollieren, war lange Zeit Vorbild für andere Branchen. Zunächst ahmten Airbus und Co. die Automobilhersteller nach, und inzwischen sind ähnliche Tendenzen zur Hierarchisierung auch im Schiffbau zu erkennen, wo oft Hunderte von Zulieferern an einem Projekt beteiligt sind.
Der „Pyramidenbau“ reduziert den Koordinationsaufwand aus Sicht der OEMs, indem er ihn auf die Supply Chain verteilt; ob er ihn insgesamt reduziert, wage ich allerdings zu bezweifeln. Das Hauptproblem jedoch ist, dass die Position in der Hierarchie oft von der Firmengröße und nicht notwendigerweise von der Kompetenz des Zulieferers bzw. der strategischen Bedeutung seiner Kompetenz abhängt. Im Zeitalter der Mechatronik fiel das noch zusammen – die Boschs und Contis dieser Welt waren nicht nur groß, sondern hatten auch mehr Elektronik- und Software-Know-how als jeder Automobilhersteller. Aber das muss im Zeitalter von Industrie 4.0 und Internet of Things (IoT) nicht so bleiben.
Die Entwicklung cybertronischer, d.h. smart vernetzter Produkte und Services stellt die bestehenden Strukturen in zweifacher Hinsicht in Frage. Zum einen habe die OEMs inzwischen erkannt, dass bestimmte Kompetenzen, die sie in den vergangenen Jahrzehnten ausgelagert haben, für Themen wie das Autonome Fahren bzw. die Vernetzung des Fahrzeugs mit seiner Umwelt von strategischer Bedeutung sind. Deshalb versuchen sie, dieses Know-how wieder ins Haus zu holen. Zum anderen ist das Modell zu einseitig auf das Engineering fokussiert und zu starr, um mit der Dynamik der Märkte Schritt zu halten. Wie z.B. eine kleine Startup-Firma einbinden, deren App für den Erfolg neuer Service-Modelle aber von entscheidender Bedeutung sein kann?
Die Entwicklung smart vernetzter Produkte und Services erfordert eine intelligentere Vernetzung der Zulieferer, um dynamisch auf neue Marktanforderungen reagieren und auch branchenfremde Partner mit bestimmten Kompetenzen schneller integrieren zu können. Das kann z.B. ein Spezialist sein, der in enger Zusammenarbeit mit anderen Partnern den Lead für Entwicklung, Betrieb oder Service bestimmter Subsysteme übernimmt. In diesen Netzwerken wird die Kommunikation der Partner untereinander ebenso wichtig sein, wie die mit ihrem Auftraggeber – sei es nun ein OEM oder ein Tier1-Supplier.
Das Problem ist, dass die heutigen IT-Systemlandschaften schon für die Collaboration in der Zulieferpyramide nicht optimal ausgelegt sind. Die PLM-Systeme unterstützen zwar die internen Collaboration-Prozesse, tun sich aber schwer mit dem Sharing von Daten und der Abstimmung von Prozessen über Unternehmensgrenzen hinweg. Die Lösungen für den asynchronen Datenaustausch sind eigentlich für Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen OEM und Partner gedacht, aber nicht für 1:n-Verbindungen zwischen OEM und mehreren Partnern und noch weniger für n:n-Verbindungen der Partner untereinander.
Wir benötigen deshalb eine neue Art von PLM-Systemen bzw. eine neue Art von Collaboration-Plattformen mit leistungsfähigen PLM-Funktionen für Versionsverwaltung, Änderungsmanagement, Projekt-Management etc., um nicht nur die Daten sharen zu können, sondern auch die maximale Transparenz im Projektgeschehen zu gewährleisten. Notwendige Voraussetzung dafür ist einerseits die Standardisierung der Daten, andererseits aber auch eine bessere Kontrolle und Analyse der Daten. Schuld an der mangelnden Transparenz sei nämlich nicht zu wenig, sondern zu viel Information, wie Global Manufacturing in dem Beitrag Industry 4.0: The urgency of data standardization schreibt.
Brauchen wir dafür neue Standards? Nicht unbedingt, meint Dr. Steven Vettermann, Geschäftsführer des ProSTEP iViP-Vereins im jüngsten PROSTEP-Newsletter. Für Standards gelte das Gleiche wie für Produkte und Services; man könne sie intelligent miteinander vernetzen.