Michael Wendenburg Online Redaktion

PMIs machen noch kein Model Based Enterprise

Die Anreicherung von 3D-Modellen mit Maßen, Toleranzen und anderen Fertigungsinformationen ist notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für ihre prozessdurchgängige Nutzung in Fertigung oder Qualitätssicherung. Die Anwender und IT-Systeme dort müssen die PMIs (Product Manucfacturing Informationen) auch verarbeiten können.

Model Based Definition

In letzter Zeit ist viel von Model Based Definition (MBD) oder Model Based Enterprise (MBE) als Zauberformel zur Digitalisierung der Geschäftsprozesse die Rede. Mein ganz persönlicher Eindruck ist, dass das Thema noch allzu einseitig aus dem Blickwinkel der Produktentwicklung betrachtet wird, obwohl die Zeiteinsparungen durch die 3D-Bemaßung gegenüber der klassischen Zeichnungserstellung eher zu vernachlässigen sind. Ihren wahren Nutzen entfalten die PMIs erst, wenn sie für die Folgeprozesse automatisch ausgewertet werden können wie dies Continental beispielsweise im Prüfwesen mit den annotierten CAD-Modellen tut. Das ist jedoch eher die Ausnahme als die Regel.

Auf der diesjährigen AMB in Stuttgart, der Internationalen Ausstellung für Metallbearbeitung, präsentierte die Firma Geometric, Hersteller der CAM-Software CAMworks, als Novum die toleranzbasierte Bearbeitung auf Basis der Auswertung von PMIs. Allerdings funktioniert sie nur im Zusammenspiel mit dem CAD-System SolidWorks. Andere CAM-Hersteller haben mit viel Aufwand proprietäre Schnittstellen zu bestimmten CAD-Systemen entwickelt, um direkt die Fertigungs-Features auszulesen, oder sie nutzen die Farbcodierungen der CAD-Modelle für die Zuordnung von Bohrungstypen, Oberflächenqualitäten etc. Letzteres trifft man vor allem im CATIA-Umfeld häufig an.

Es gibt mit anderen Worten eine Vielzahl von Ansätzen, um Fertigungsinformationen zwischen CAD und CAM auszutauschen. PMI ist nur einer davon und längst nicht die am weitesten Verbreitete. Zu meiner Überraschung konnten die meisten CAM-Hersteller, mit denen ich in Stuttgart sprach, mit dem Begriff “PMI” wenig anfangen, was die Vermutung nahe legt, dass das Thema MBD noch nicht auf der Ebene des Shopfloors angekommen ist. Die Gräben zwischen CAD- und CAM-Herstellern scheinen ebenso tief zu sein wie die zwischen Entwicklung und Fertigung bei manchen ihrer Kunden.

Die Digitalisierung der Prozessketten wird aber nur gelingen, wenn man die Anwender und Abteilungen, die aus den digitalen Modelldaten letztlich reale Bauteile machen müssen, in die Diskussion stärker einbezieht. Für den Mitarbeiter in der Arbeitsvorbereitung hat es nämlich keinerlei Vorteile, seine Toleranzen künftig als PMIs am 3D-Modell abzulesen, wenn er sie nach wie vor von Hand in sein CAM-System eingeben muss. Im Gegenteil, im Zweifelsfall wird er die 2D-Zeichnung bevorzugen, weil er sie seit Jahrzehnten gewohnt ist. Aus Fertigungssicht macht die 3D-Kommunikation der Fertigungsinformationen nur dann Sinn, wenn man die annotierten Modelle mit weniger manuellen Eingriffen als bisher für die Bearbeitung aufbereiten kann.

In den digitalen Prozessketten zwischen Konstruktion und Fertigung, aber auch zwischen Konstruktion und Qualitätssicherung klaffen jedoch noch riesige Lücken. Sie lassen sich nicht einfach dadurch schließen, dass man die Maße und Toleranzen an das 3D-Modell hängt. Die Frage der Formate, Standards und Schnittstellen ist eher nebensächlich. In erster Linie ist es eine organisatorische Integrationsaufgabe.

Aus zahlreichen Reportagen weiß ich, wie viel Aufwand die Mitarbeiter in AV und NC-Programmierung oft treiben, um die CAD-Modelle aus der Konstruktion fertigungsgerecht aufzubereiten, nur weil die Konstrukteure nicht fähig oder willens sind, sie vor dem Export korrekt zu tolerieren. Zum Teil werden hochkomplexe Bauteile anhand der Zeichnungen im CAM-System nachmodelliert, weil das schneller ist, als die Toleranzen in die importierten Modelle einzupflegen. Abgesehen von der Frage, ob das im Sinne der Nachweispflichten überhaupt regelkonform ist, schlummert hier ein enormes Rationalisierungspotenzial, ohne dass man dafür ganze Fabriken intelligent vernetzten müsste. Man braucht dafür nur die Anwender in Konstruktion und Fertigung und vor allem ihre Chefs ein bisschen besser zu vernetzen.

Weitere Beiträge auf wendenburg.net Seite 6

04.10.2017
Seit etwa 20 Jahren bemühen sich die PLM-Hersteller darum, die Bedienerfreundlichkeit ihrer Anwendungen zu verbessern. Offensichtlich mit eher mäßigem Erfolg, wie Oleg Shilovitsky vor ein paar Tagen in einem Blog-Beitrag über Complexity of Data Models and User Interface in PLM konstatierte. Das hängt... Artikel weiterlesen
25.09.2017
Hackerattacken werden zu einer wachsenden Bedrohung, schrieb das Handelsblatt vor ein paar Tagen. Keine neue Erkenntnis, denn sie hat längst die Versicherungswirtschaft auf den Plan gerufen. Weltweit eine Milliarde US-Dollar geben Unternehmen für so genannte Cyberpolicen aus, die sie gegen Angriffe... Artikel weiterlesen
11.09.2017
Während deutsche PLM-Software-Hersteller mehr oder weniger erfolgreich versuchen (müssen), aus eigener Kraft bzw. kraft Partnern zu wachsen, finanzieren amerikanische Mitbewerber ihr Wachstum einfacher durch Venture Capital und wachsen schneller. Die Aras Corp. hat vor ein paar Tagen mitgeteilt, dass... Artikel weiterlesen
03.09.2017
PLM-Experten empfehlen seit geraumer Zeit die Modernisierung der monolithischen PLM-Systemlandschaften und eine stärkere Modularisierung der IT-Architekturen, um schneller und vor allem flexibler auf neue Anforderungen bei der digitalen Transformation von Geschäftsprozessen und -modellen reagieren... Artikel weiterlesen
06.08.2017
Täusche ich mich oder ist es um Industrie 4.0 in den letzten Wochen erstaunlich ruhig geworden? Dafür mag es verschiedene Gründe geben: Vielleicht haben wir den Scheitelpunkt auf Gartners Hype Cycle überschritten und befinden uns mitten in der Phase der Ernüchterung. Oder die Unternehmen haben die... Artikel weiterlesen
13.07.2017
Das Portal Engineering.com veröffentlichte vor kurzem eine interessante Studie über den PDM/PLM-Einsatz bzw. Nicht-Einsatz in Unternehmen mit Produktentwicklungsteams von maximal 20 Konstrukteuren: 60 Prozent von ihnen verwalten ihre CAD-Daten noch ohne ein formales Datenmanagement; bestenfalls legen... Artikel weiterlesen
04.07.2017
Vor ein paar Tagen besuchte ich die CONTACT Open World 2017 in Fulda, die in diesem Jahr ganz im Zeichen des Internet of Things (IoT) und der digitalen Transformation der Wertschöpfungsketten stand. Der deutsche PLM-Hersteller will seine Kunden befähigen, smart vernetzte Produkte und ergänzende IoT-Dienste... Artikel weiterlesen
03.07.2017
Viele Unternehmen tun sich schon schwer, die für sie am besten geeignete Digitalisierungsstrategie zu definieren. Eine noch größere Herausforderung ist es, die Strategie dann auch in die Praxis umzusetzen. Das wurde beim Engineering Process Day ’17 der em engineering methods AG deutlich, die... Artikel weiterlesen