Michael Wendenburg Online Redaktion

Oracle setzt auf Cloud PLM: Abschied von Agile PLM und Agile e6?

Haben Sie am 30. Januar schon etwas vor? Dann sollten Sie, insbesondere wenn Sie Anwender von Oracle Agile PLM sind, vielleicht mal nach San José in Kalifornien reisen. Dort findet in der Tanq Bar des Marriott-Hotels eine Abschiedsparty für Agile PLM statt. Wir erinnern uns: Agile übernahm 2003 den deutschen PLM-Pionier Eigner und wurde 2007 selbst von Datenbank-Hersteller Oracle übernommen, der beide Produktlinien parallel weiter entwickelte. Wird ihr Support nun offiziell eingestellt?

Sarg

Mitnichten, wie Tobias Stähle, Vertriebsdirektor SCM & PLM für Deutschland und die Schweiz bei Oracle versichert: Sowohl für Agile PLM, als auch für die ehemalige Eigner- bzw. Axalant-Software Agile e6 und die anderen On-Premise-Anwendungen gewährleiste das Unternehmen seinen Premium Support-Kunden einen so genannten Application Lifetime Support, das heißt die Anwendungen würden unbegrenzt weiter entwickelt bzw. aktualisiert und jeweils für die Dauer von fünf Jahren nach der Vorstellung der Release unterstützt. Der Support für die aktuelle Version Agile e6 2.1 ende erst im August 2022, der für die Folge-Release werde weitere fünf Jahre laufen.

Stähles Statement deckt sich mit den Aussagen von John Kelley, Vice President PLM & MDM Products SCM Development auf einer Oracle-Veranstaltung in San José im Januar 2016: Er versprach dort ein starkes Committment zu den Long-Term-Roadmaps für die verschiedenen On-Premise-Produktfamilien. The On-Premise Market for PLM will continue to be large and important for our customers and Oracle.

Zugegebenermaßen erweckt die deutsche Homepage nicht gerade den Eindruck, als sei Oracle im On-Premise-Geschäft mit PLM-Lösungen noch sehr aktiv. Wer dort gezielt nach Agile PLM oder Agile e6 sucht, findet als erstes eine Pressemeldung über neue Produkt-Releases, die aus dem Jahre 2009 stammt. Dessen ungeachtet können auch Neukunden die Lösungen noch käuflich erwerben, wie Stähle sagt, auch wenn der Trend im Neukundengeschäft eindeutig in Richtung Cloud PLM gehe.

Wie kommt es dann zu der kuriosen Abschiedsparty für Agile PLM? Veranstaltet wird sie nicht etwa von Oracle, sondern von einer Firma namens Propel. Sie haben noch nie etwas von Propel bzw. Propel PLM gehört? Dann geht es Ihnen wie mir. Der PLM-Newcomer, der sich da so frech aus dem Fenster lehnt, wurde erst vor zwei Jahren in Santa Clara gegründet – mit einem Startkapital von 4,2 Millionen US-Dollar. Hauptkapitalgeber ist die Venture Capital-Gesellschaft Cloud Apps Capital Partners Venture Capital, die selbst nur unwesentlich älter ist. Jetzt läuft das Startup-Unternehmen erst einmal Gefahr, einen Teil des Startkapitals in einen Rechtsstreit mit Oracle investieren zu müssen.

Propel entwickelt ausschließlich Cloud-basierte Lösungen für PLM, Product Information Management (PIM) und Qualitätsmanagement, mit denen sie bei den Kunden die digitale Transformation propellen will. Und das angeblich doppelt so schnell wie der Wettbewerb. Bescheidenheit war noch nie eine amerikanische Tugend: Auf der attraktiv gestalteten Propel-Webseite wird mal eben kühn behautet, dass G2 Crowd Propel PLM als das PLM-System Nummer eins einstuft. G2 Crowd ist eine Online-Plattform, auf der man Software und Services bewerten kann. Auch noch nie gehört.

Hinter dem kecken PLM-Startup stecken ehemalige Mitarbeiter von Agile und PLM-Veteranen, was ein bisschen schön gefärbt ist: Gründer sind Ray Hein, der vorher für das Produkt Management bei eCommerce-Anbieter Apptus verantwortlich war, Ron Hess, der mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Entwicklung von Anwendungen auf Basis der CRM-Plattform Salesforce mitbringt, und Brian Sohmers, der nach verschiedenen Führungspositionen bei Oracle zuletzt als General Manager bei der Firma Equilar arbeitete, die Lösungen für die Rekrutierung und Bezahlung von Vorstandsmitgliedern entwickelt. Nicht gerade altgediente PLM-Experten, aber was heißt das schon in einer Welt, in der ein Internet-Unternehmer wie Elon Musk ohne jede Erfahrung im Automobilgeschäft eine ganze Branche aufschreckt. Disruption is the name of the game.

Bislang sieht es zwar nicht so aus, als würde die Cloud im PLM-Markt so bald ihre disruptive Energie entfalten, aber das kann sich schnell ändern, wenn die großen PLM-Hersteller verstärkt auf die Cloud setzen. Nach Informationen der Marktforschungsfirma CIMdata von der Oracle OpenWorld 2017 feilt das Unternehmen kräftig an seiner Cloud PLM-Strategie, und auch andere namhafte PLM-Hersteller haben ihre anfängliche Skepsis aufgegeben. Besonders deutlich ist der Sinneswandel bei PTC, das vor fünf Jahren noch keinen nennenswerten Bedarf erkennen konnte und heute mit eigenen Software-as-a-Service-Angeboten (SaaS) wirbt: Die Zeit ist reif für die Umstellung von PLM auf die Cloud lautet die Botschaft.

Stähle

Dass Oracle sein PLM-Heil in den Wolken(n) sucht ist naheliegend weil auch andere Anwendungen wie ERP oder Project Portfolio Management inzwischen in der Cloud laufen, so dass sich interessante Synergien ergeben, wie CIMdata schreibt: In their move to the cloud, Oracle fundamentally rethought most aspects of their business. They also took the opportunity to rethink the boundaries of their applications. This is of critical importance to the Oracle PLM Cloud suite. Before the cloud, Oracle had five different project portfolio management solutions because of their organic solutions growth and many acquisitions. They now have one, Oracle PPM Cloud, with the ERP development team taking a lead role.

Im Unterschied zu anderen PLM-Herstellern versucht Oracle offensichtlich nicht, seine bestehenden On-Premise-Lösungen fit für die Cloud zu machen, sondern entwickelt ein eigenständiges Lösungsangebot. Es gibt mittlerweile eine umfassende Suite von Cloud-basierten Modulen für Product Development, Project Portfolio Management, Innovation Management, Requirements Management und Quality Management im Saas-Modell (Software as a Service), wie Stähle sagt. Das Unternehmen stellt seinen Kunden auch die für ihren Betrieb erforderlich IT-Infrastruktur als Service (IaaS) zur Verfügung, entweder in eigenen Rechenzentren – eines davon steht z.B. in Frankfurt – oder in einer von Oracle gewarteten, privaten Unternehmens-Cloud.

Wie viele Kunden schon das Cloud PLM-Angebot nutzen, wollte Stähle nicht verraten, aber er schätzt, dass es nicht mehr als zwei Prozent sind: Sie dürfen nicht vergessen, dass wir seit Jahrzehnten PLM verkaufen und sehr viele Bestandskunden haben. Aber das Blatt wendet sich. Oracle erwartet nicht, dass bestehende Kunden im Big Bang in die Wolke umziehen werden, sondern geht eher davon aus, dass sie ihre stark kundenspezifisch angepassten Installationen inkrementell um Cloud-basierte Funktionen ergänzen werden, die in Agile PLM oder Agile e6 nicht vorhanden sind. In der Cloud werden sie allerdings auf einen Teil der Anpassungsmöglichkeiten verzichten müssen. Die Cloud-Module sind flexibel konfigurierbar, aber man erreicht nicht den gleichen Grad der Individualisierung, sondern vielleicht 80 Prozent davon, sagt Stähle und gibt zu bedenken, dass es meistens die verbleibenden 20 Prozent Customizing sind, die den Löwenanteil der Kosten verschlingen und die IT bei Updates zum Wahnsinn treiben.

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