Seit die PLM-Hersteller (PTC eingeschlossen) den Begriff Produktdatenmanagement (PDM) durch den PLM-Begriff ersetzten, um ihren Bauchladen an CAD-, CAE- PDM- und sonstigen Tools unter einem Oberbegriff einsortieren zu können, leben sie mit einer Lebenslüge: Den gesamten Produktlebenszyklus von der Wiege bis zur Bahre konnte PLM nie wirklich unterstützen. Nicht in punkto Funktionalität, und schon gar nicht, wenn man sich anschaut, was die Kunden von den Funktionen nutzten. Nach dem Start of Production kontrollierten ohnehin andere IT-Systeme das weitere Produktleben. PLM kam bestenfalls noch einmal beim Recycling zum Zuge, um nachzuschauen, welche schädlichen Materialien in dem Produkt damals verbaut worden waren.
Was die Vernetzung der Produkte (und Produktionssysteme) über das Internet of Things (IoT) jetzt möglich macht ist, Informationen über die Fertigung und das reale Produktleben in der Betriebsphase zu erfassen und mit den digitalen Modellen der ausgelieferten Produkte zu kombinieren. Dadurch können die Hersteller der Produkte endlich einen Blick auf das werfen, was Heppelmann einmal die Dark Side oft he Moon nannte. Was sie schon immer über ihre sexy Produkte wissen wollten, und die Kunden nicht zu fragen wagten, erfahren sie jetzt durch die Auswertung von Unmengen an Sensordaten, die auf ihren IoT-Plattformen zusammenlaufen.
Sofern sie überhaupt schon eine IoT-Plattform einsetzen. Der IDC-Studie Internet of Things in Deutschland 2016 zufolge nutzen in Deutschland derzeit erst 18 Prozent der Unternehmen entsprechende Plattformen, um Daten zu analysieren und zu verarbeiten, vernetzte Objekte zu managen, Geräte verschiedener Hersteller zu integrieren oder ihre Komplexität zu managen. 61 Prozent der Befragten planen allerdings den Einsatz einer IoT-Plattform in den nächsten zwei Jahren.
IoT ist also eine Enabling Technologie für PLM ähnlich wie Webclients und Viewer es damals überhaupt erst geschafft haben, PDM aus seiner Engineering-Nische zu befreien und die Produktdaten überall im Unternehmen bereitzustellen. Das heißt aber noch lange nicht, dass IoT gleich PLM ist. PLM ist weit mehr als IoT und IoT weit mehr als PLM. Sonst hätte PTC in Boston ja keine neue ThingWorx-Version vorzustellen brauchen, sondern beide Produkte im Sinne der Physical and Digital Convergence (so das Leitmotiv der Veranstaltung) gleich verschmelzen können.
Die gemeinsame Schnittmenge von PLM und IoT dürfte von Branche zu Branche unterschiedlich sein. Das weiß PTC besser als jeder andere PLM-Hersteller, vielleicht mit Ausnahme von Dassault Systèmes, denn das Unternehmen ist mit seiner Windchill-basierten Flex PLM-Lösung in der Bekleidungsindustrie sehr erfolgreich unterwegs. Und ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass H&M und Co. ihre in Bangladesh gefertigten Billigst-T-Shirts künftig mit Sensoren ausstatten werden, um in Erfahrung zu bringen, wie oft wir sie in die Waschmaschine stecken oder gar um unsere Herzfrequenz zu überwachen. Obwohl, wissen tut man es nicht. Die Vervielfältigung der IP-Adressen und die immer billiger werdenden Sensoren führen mit einer gewissen Zwanghaftigkeit dazu, dass alles mit jedem vernetzt wird.
Zweifellos kann PTC für sich in Anspruch nehmen, den Trend zu smart vernetzten Produkten als erster PLM-Hersteller erkannt und mit der Übernahme der ThingWorx-Plattform 2013 frühzeitig die Weichen in Richtung der IoT-isierung von PLM gestellt zu haben. Die anderen große PLM-Hersteller sind inzwischen gefolgt und bieten ähnliche Plattformen an, allen voran Siemens mit der Cloud-basierten MindSphere-Lösung, über die ich neulich in einem Blogbeitrag über IoT und die Verfolgungsjagd der PLM-Hersteller berichtete. Interessanterweise ist sie nicht bei der PLM-Fraktion, sondern beim Mutterkonzern aufgehängt, was mit Blick auf Industrie 4.0 und die digitale Fabrik auch eigentlich naheliegender ist.
Eine ganz andere Frage ist, ob die PLM-Hersteller mit ihren IoT-Plattformen je das Geld verdienen werden, das sie investiert haben. PTC weist für 2016 einen IoT-Umsatz von 100 Millionen aus, was aber auch die Umsätze mit der Augmented Reality-Software Vuforia Studio, die künftig ThingWorx Studio heißen wird, Kepware und vermutlich auch mit ThingWorx Navigate umfasst. Letzteres ist eine rollenspezifische App, um auf Daten in unterschiedlichen Systemen zuzugreifen. Damit hätte das Unternehmen im gesamten IoT-Geschäft gerade mal so viel umgesetzt, wie die Übernahme von Kepware gekostet hat. Von den Kosten für die ThingWorx-Übernahme ganz zu schweigen.
Das ist bislang ein Verlustgeschäft, das notwendigerweise durch die Einnahmen aus dem klassischen PLM-Geschäft finanziert wird und das sich nur mit Blick auf eine rosige Zukunft rechnet. Doch der Wettbewerb um die IoT Plattformen, aus denen das neue Öl des digitalen Zeitalters sprudeln soll, wird nicht weniger. Derzeit gibt es weltweit rund 360 IoT-Plattformen, Tendenz steigend, wie mir Ulrich Ahle, CEO der FIWARE Foundation, neulich im Interview sagte. Und es gibt eben auch Open Source-Plattformen mit offenen Schnittstellen und Datenaustausch-Standards wie FIWARE. Sie wird derzeit vor allem als Plattform für Smart City-Anwendungen genutzt. Die Foundation will sie aber auch im Bereich Smart Industry stärker positionieren, was Industrie 4.0-Anwendungen einschließt.
Wenn ich also PLM-Hersteller wäre und vor der Frage stünde, ob ich noch eine eigene IoT-Plattform aufbauen soll oder nicht, würde ich mich im Zweifelsfall für die Nutzung einer solchen, offenen Plattform entscheiden und nur ein paar schnuckelige Apps on top entwickeln. Man muss auch das smart vernetzte Rad nicht unbedingt komplett neu erfinden. Aber das ist nur meine unmaßgebliche Meinung.