Michael Wendenburg Online Redaktion

IDC-Studie: Cloud PLM auch in Deutschland auf dem Vormarsch

In einem von Dassault Systèmes gesponserten Whitepaper kommen die Marktforscher von IDC zu dem Schluss, dass Industrie 4.0 in Deutschland die nächste Stufe der erreicht hat. Sie führen das auf den verbesserten Informationsaustausch entlang des Wertschöpfungsprozesses durch Zugriff auf eine PLM-Software-Plattform zurück. So erfreulich das auf den ersten Blick ist – das Ausmaß der Verbesserung wirft Zweifel an der Repräsentativität der Ergebnisse auf. Was mich besonders skeptisch macht ist, dass IDC außerdem einen direkten Zusammenhang zwischen dem Tempo der digitalen Transformation in den Unternehmen und der Nutzung von PLM-Diensten aus der Cloud herstellt. In Anbetracht der geringen Cloud PLM-Durchdringung in Deutschland, und nicht nur hier, klingt das einfach zu schön, um wahr zu sein.

Cloud_PLM

IDC befragte insgesamt 100 deutsche Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, von denen 80 % weniger als 2.500 Mitarbeiter haben. Der deutsche Mittelstand war also gut vertreten, auch wenn nur 42 Prozent der Befragten aus der klassischen Fertigungsindustrie stammten. 86 % der Unternehmen beschäftigen sich laut IDC inzwischen mit dem Thema Industrie 4.0 und 34 % haben den Sprung in die (begrenzte) Umsetzung vollzogen, mehr als dreimal so viele wie im Jahr 2016.

Ein Grund für den gestiegenen Industrie 4.0-Reifegrad ist IDC zufolge der verbesserte Informationsaustausch in den befragten Unternehmen – sowohl firmenintern, als auch mit Partnern, Lieferanten und Kunden. Die Verbesserung machten die Marktforscher an den Zugriffsmöglichkeiten auf eine PLM-Software-Plattform fest. Mehr als verdoppelt haben sie sich kurioserweise in Wartung und Service und im Marketing, wo die Mitarbeiter in 34 % bzw. 36 % der befragten Unternehmen heute Zugriff auf eine PLM-Plattform haben, während sich die Zugriffsmöglichkeiten in der Fertigung nur von 28 auf 35 % verbessert haben. (siehe Grafik) Das ist gerade mit Blick auf Industrie 4.0 nicht ganz plausibel und deckt sich auch nicht mit meinen Erfahrungen.

IDC sieht außerdem einen kausalen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Cloud PLM-Diensten und der Umsetzung von Industrie 4.0-Initiativen, wobei die Bandbreite der Dienste vom Management von Verträgen bis zum Qualitätsmanagement reichen. Dennoch halte ich die Zahlen nicht für belastbar. Man wüsste z. B. gerne, welche Cloud-Dienste angeblich mehr als ein Drittel der befragten Unternehmen (mit ode ohne Industrie 4.0-Initiativen) für Ideengenerierung, Feedback zur Produktentwicklung, Zusammenarbeit mit internen Abteilungen oder Collaborative Product Data Management genau nutzten Nach den Zahlen der Marktforscher von CIMdata sind nämlich 90% der PLM-Installationen weltweit immer noch on-premise, d.h. lokal installiert. Das passt meines Erachtens irgendwie nicht zusammen.

IDC-Chart

Zweifellos nimmt das Interesse an Cloud PLM-Anwendungen auch in Deutschland zu, weil sie eine Reihe von Vorteilen bieten. Die Unternehmen versprechen sich davon weniger Administrationsaufwand, geringere Anlaufkosten, einen geringeren Kapitaleinsatz, mehr Flexibilität durch die bedarfsgerechte Skalierbarkeit der Hard- und Software-Ressourcen sowie weniger Störungen bei Updates, wie eine Studie von CIMdata in Zusammenarbeit mit PTC ergeben hat. Dennoch hinkt Cloud PLM anderen Enterprise-Anwendungen wie ERP oder CRM (Customer Relationship Management) deutlich hinterher, weil die Cloud eben nicht alle Probleme löst, die Unternehmen mit ihren PLM-Anwendungen haben und ein paar zusätzliche Probleme schafft, die noch nicht befriedigend gelöst sind.

Eines der größten Probleme in den Unternehmen, das auch in der IDC-Studie anklingt, ist die funktions- bzw. abteilungsübergreifende Koordination: 90 % der befragten Unternehmen beklagten sich darüber, dass sie zu viel Zeit für die Abstimmung zwischen den Abteilungen und Prozessen benötigen, und 32 % sind sogar der Meinung, dass ihr Unternehmen dadurch Umsatz einbüßt. Die mangelnde Koordination wird jedoch nicht automatisch dadurch besser, dass man die PLM-Anwendung in die Cloud verlagert, weil sie in den meisten Fällen eine Frage der Organisation ist.

Das Gleiche gilt für die mangelnde Integration von PLM mit anderen Unternehmensanwendungen. Ich sehe z.B. nicht, wie die Nutzung von Cloud PLM-Diensten die Synchronisation mit den ERP-Daten erleichtern könnte, insbesondere wenn das ERP-System noch nicht in der Cloud oder vielleicht in der Cloud eines anderen Providers läuft. Die Frage der Integration mit anderen Enterprise-Anwendungen ist nicht von ungefähr eines der wichtigsten Bedenken, die Unternehmen heute mit Blick auf Cloud PLM haben (Siehe Grafik). Noch vor den Sicherheitsbedenken der Entscheidungsträger, die laut IDC in den letzten Jahren abgenommen haben.

Die zuverlässige und sichere Datenkommunikation zwischen unterschiedlichen Cloud-Instanzen oder zwischen lokal installierten Anwendungen und Cloud-Lösungen zu gewährleisten, ist alles andere als trivial. Hybride Cloud/Cloud- oder Cloud-/On-Premise-Implementierungen werden jedoch die PLM-Landschaften der Zukunft bestimmen, weil kein größeres Unternehmen seine bestehende Installation auf einen Schlag in die Cloud migrieren wird. Dies umso mehr, als viele dieser Installationen stark kundenspezifisch angepasst sind.

CIMdata-Chart

Cloud PLM-Angebote müssen die Möglichkeiten des Customizing notwendigerweise einschränken, um die Upgrade-Fähigkeit der Software zu gewährleisten. Das bereitet vielen Unternehmen beim Gedanken an Cloud PLM Sorgen, denn manche dieser Anpassungen sind wichtig für die Produktivität und für die Akzeptanz der Lösung seitens der Anwender. Hier müssen sich PLM-Hersteller und Anwender aufeinander zu bewegen: Die einen müssen mehr Upgrade-fähige Konfigurationsmöglichkeiten schaffen, die anderen müssen lernen, auf das letzte Quäntchen Anpassung im Sinne der Standardisierung auch mal zu verzichten.

Aus meiner Sicht wird ein wichtiger Aspekt bei der ganzen Cloud PLM-Diskussion völlig ausgeblendet. Während ERP-Systeme im Wesentlichen Daten verwalten, verwalten PLM-Systeme Daten und Dokumente, die mit so genannten Autorensystemen (CAD, CAE, ECAD, CAM etc.) erzeugt werden. Die meisten dieser Autorensysteme sind noch nicht wirklich Cloud-fähig – man kann sie allenfalls in einer virtualisierten Umgebung betreiben. Aus Sicht der Unternehmen macht es jedoch meines Erachtens wenig Sinn, ihre PLM-Installation vollständig in die Cloud zu verlagern, solange die Autorensysteme noch lokal betreiben und dafür eine entsprechende IT-Infrastruktur unterhalten müssen. Aber vielleicht bin ich da ja auf dem Holzweg. Deshalb freue ich mich über Ihre Kommentare.

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