Michael Wendenburg Online Redaktion

HMI 2017: Die Zukunft der Fertigungstechnik ist additiv

Additive Manufacturing war DAS Modethema der diesjährigen Hannover Messe Industrie, zumindest in den beiden (halben) Hallen der Digital Factory. Die Hannoveraner Messemacher haben es wieder nicht geschafft, zusammenzubringen was zusammen gehört. Wahrscheinlich haben sie es nicht mal versucht. Ohne die genauen Besucherzahlen zu kennen, war der Messeauftakt in diesem Jahr nach meinem Gefühl deutlich schwächer als im letzten Jahr. Wenn die Besucher morgens trotzdem Schlange standen, dann wegen der im übrigen wenig effektiven Taschenkontrollen am Eingang.

Hannover_Messe

In einem Blog-Beitrag einen Überblick über die Messeneuheiten geben zu wollen, wäre vermessen, zumal ich in diesem Jahr nur einen Tag in Hannover war. Deshalb beschränke ich mich hier auf ein paar impressionistische Pinselstriche. Was mir schon beim ersten Gang über die Digital Factory auffiel war die massive Präsenz von Herstellern, die 3D-Drucker und andere Maschinen für die additive Fertigung zeigten. Oder eben auch nur einen Roboter mit Spezialarm, der eine Schiffsschraube oder einen Schiffsrumpf aufschweißt bzw. ausdruckt. Damit fällt endgültig die Beschränkung der Bauteilgrößen auf die begrenzten Bauräume von 3D-Druckern oder ähnlichen Maschinen.

Zum Teil sah man in Hannover riesige Exponate, die entweder direkt oder indirekt, d.h. mit Hilfe von 3D gedruckten Formen hergestellt wurden. Altair zeigte z.B. die topologisch optimierte und in ein Gussbauteil umgewandelte Schweißkonstruktion einer Fahrwerkschwinge für ein landtechnisches Bodenbearbeitungsgerät. Nicht das Teil selbst wurde in 3D gedruckt, wohl aber die verlorene Sandform, in der es Gestalt annahm.

Auch in Punkto Materialen gibt es bald nichts mehr, was sich nicht drucken lässt. Ich weiß nicht mehr genau wer mir von der Möglichkeit erzählte, transparente Bauteile aus einer Mischung aus Glaspulver und Klebstoff zu drucken, die nach der Herstellung erhitzt werden, um den Klebstoff zu entfernen. Wenn ich Werkzeugmaschinenhersteller wäre oder einen traditionellen Fertigungsbetrieb mit teuren Dreh- und Fräsmaschinen hätte, würde ich mich jedenfalls nach einem Besuch der Digital Factory warm anziehen.

Natürlich wird nicht alles so heiß gegessen wie es gedruckt wird. Die Herausforderung wird darin bestehen, den 3D-Druck und andere additive Verfahren effizient in die bestehenden Fertigungsprozesse zu integrieren. Ein wichtiges Thema dabei ist die sichere Bereitstellung von 3D-Druckdaten. Wie sie mit Hilfe der Blockchain-Technologie geschützt werden können, zeigte PROSTEP zusammen mit Partnern am Beispiel der Secure Additive Manufacturing Platform. SAMPL ist ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördertes Verbundprojekt mit dem Ziel, eine durchgängige Sicherheitslösung von der Entstehung der digitalen 3D-Druckdaten über den Austausch mit einem 3D-Druckdienstleister und seinen abgesicherten Trusted 3D-Druckern bis zur Kennzeichnung der gedruckten Bauteile mittels RFID-Chip zu entwickeln. Es soll den Missbrauch von 3D-Druckdaten z.B. für die Herstellung von Plagiaten, verhindern.

Die additiven Fertigungsverfahren beeinflussen aber auch die Entwicklungsprozesse, denn sie schreien förmlich nach einer neuen Herangehensweise bei der Gestaltung der Bauteile. Klassischerweise wird in den Unternehmen erst konstruiert und dann berechnet. Um die neuen Freiheiten des 3D-Drucks ausschöpfen zu können empfiehlt sich hingegen ein generatives Design, das ausgehend von bestimmten Parametern automatisch bionische, d.h. an den Prinzipien der Natur orientierte Strukturen erzeugt. Man stellt gewissermaßen die Berechnung bzw. die Topologie-Optimierung an den Anfang der Konstruktion. Eigentlich wäre das immer schon zweckmäßig gewesen, um die mit Details überfrachteten Konstruktionsmodelle für die Berechnung nicht immer aufwendig abspecken zu müssen, aber das hat sich in der Praxis nicht durchgesetzt.

Autodesk

Autodesk machte das generative Design in diesem Jahr ganz zum Mittelpunkt seines Messestandkonzepts und zeigte unter dem Motto The Future of Making Things eine Vielzahl von weitgehend automatisch erzeugten Lösungen. Das nenne ich die Gnade der späten Erleuchtung, nachdem das Unternehmen jahrzehntelang nicht mal eine halbwegs vernünftige CAM-Lösung für die spanabhebende Bearbeitung in ihrem ansonsten sehr umfassenden Produktportfolio hatte. Bei den anderen PLM-Herstellern sah man ähnliche Lösungen zur Topologie-Optimierung, die den Konstrukteur in letzter Konsequenz zum Erfüllungsgehilfen eines Simulationsprogramms degradieren würden. Soweit wird es aber wohl nicht kommen, denn irgendeiner muss die generativ erzeugten Bauteile ja wieder umkonstruieren, wenn sie in höheren Stückzahlen mit den klassischen Fertigungsverfahren hergestellt werden sollen. Was ich damit sagen will ist, dass die Kombination von subtraktiven und additiven Fertigungsverfahren notwendigerweise zu Kompromissen bei der Bauteil-Gestaltung führen wird, die Konstruktions- und Fertigungs-Know-how erfordern.

Anstelle eines Fazits noch eine erfreuliche Nachricht von der Hannover Messe: Bernhard Valnion, der ehemalige Chefredakteur der Zeitschrift Economic Engineering, die Ende letzten Jahres ihr Erscheinen einstellte, hat ein neues Objekt aus der Taufe gehoben. Es nennt sich D1g1tal AGENDA, obwohl es auch noch in analoger, sprich Papierform erscheint. In einem für eine Zeitschrift ungewöhnlichen, aber sehr handlichen US-Format, ich glaube es nennt sich Executive. Neuer Schläuche für einen alten Wein? Inhaltlich unterscheidet sich die D1g1tal AGENDA kaum von ihrer Vorgänger-Zeitschrift, sogar den englischsprachigen Sonderteil zum Thema Anlagenbau ist erhalten geblieben. Hier hätten die Blattmacher ein bisschen mehr Mut zur Lücke zeigen können. Dennoch drücke ich ihnen die Daumen und wünsche ihnen mit der alten, neuen Zeitschrift viel Erfolg.

Weitere Beiträge auf wendenburg.net Seite 3

26.10.2018
Das 3DEXPERIENCE Forum von Dassault Systèmes fand in diesem Jahr an einem Ort statt, der die industrielle Transformation treffend charakterisiert: Die Lokhalle in Göttingen, ein 1917 erbautes Denkmal der Industriekultur, in der früher Dampflokomotiven gewartet wurden, und die heute als Event Location... Artikel weiterlesen
08.10.2018
Nach einer längeren kreativen Pause melde ich mich zurück mit meinen Eindrücken vom Munich PLM Symposium, das vom Institut für Engineering Design of Mechatronic Systems & PLM der Hochschule für Angewandte Wissenschaften München ausgerichtet wird. Mit ca. 140 Teilnehmern hat sich die Veranstaltung,... Artikel weiterlesen
27.04.2018
Vor ein paar Tagen besuchte ich im MOC Veranstaltungscenter in München das prostep ivip Symposium 2018. Mit 700 Teilnehmern von mehr als 200 Anwenderfirmen, IT-Vendoren und Hochschulinstituten aus 21 Ländern verzeichnete das internationale Familientreffen der PLM-Branche einen neuen Besucherrekord.... Artikel weiterlesen
16.04.2018
Auf ihrem North American Industry and Market Forum in Ann Arbor, Michigan präsentierte die Marktforschungsfirma CIMdata vor kurzem die Zahlen zur Entwicklung des PLM-Marktes und die aktuellen Trends. Oleg Shilovitsky berichtete darüber in einem Blogbeitrag auf Beyond PLM, auf den ich mich beziehe,... Artikel weiterlesen
31.03.2018
Rund zwei Jahre ist es her, dass eine Reihe von PLM-Experten aus Industrie und Forschung auf Initiative von Conweaver in einem Workshop darüber diskutierten, wie sich PLM neu erfinden muss, um die Herausforderungen bei Entwicklung, Fertigung und Betrieb smart vernetzter Produkte und Produktionssysteme... Artikel weiterlesen
09.03.2018
Der Nutzen von PLM ist für die meisten Unternehmen nicht greifbar. Das war die ernüchternde Erkenntnis des PLMPulse Surveys 2017, der auf der PI PLMx im Hamburg vorgestellt wurde. Ohne den Marktforschern zu nahe treten zu wollen, glaube ich, dass das so nicht stimmt. Vielleicht hat man auch einfach... Artikel weiterlesen
03.03.2018
Vor ein paar Tagen bin ich auf der Homepage von PLM-Hersteller CONTACT Software über ein interessantes Whitepaper zum Thema Data Science & Analytics gestoßen. Autor Dr. Udo Göbel erläutert die Möglichkeiten und praktischen Probleme mit der algorithmischen Analyse, die nach seinen Worten für... Artikel weiterlesen
25.02.2018
Die PI PLMx, die in diesem Jahr in Hamburg stattfand, hat sich als fester Treffpunkt der europäischen PLM-Experten etabliert, auch wenn die Veranstaltung von der Teilnehmerzahl bei weitem nicht an das prostep ivip-Symposium heranreicht: Rund 225 Besucher, darunter 135 Vertreter von Anwenderfirmen, trafen... Artikel weiterlesen