Michael Wendenburg Online Redaktion

Engineering Process Day ’17: Strategien für die Digitalisierung

Viele Unternehmen tun sich schon schwer, die für sie am besten geeignete Digitalisierungsstrategie zu definieren. Eine noch größere Herausforderung ist es, die Strategie dann auch in die Praxis umzusetzen. Das wurde beim Engineering Process Day ’17 der em engineering methods AG deutlich, die Unternehmen unter anderem bei der Entwicklung einer Roadmap für die Digitalisierung berät und unterstützt. Hier ein paar Eindrücke.

Labyrinth

Rund 120 Vertreter von 60 Unternehmen nahmen am Engineering Process Day ’17 teil, der am Vorabend mit einem spannenden Vortrag von Prof. Dr. Martin Eigner von der TU Kaiserlautern über die Folgen der Digitalisierung für PLM begann. Zum Auftakt der Veranstaltung gaben die vier Vorstände Dr. Marcus Krastel, Dr. Sven Kleiner, Dr. Erik Claasen und Christian Donges einen kurzen Überblick über die Erfolgsgeschichte der AG, die sich von einem kleinen Beratungshaus zu einem Beratungs- und Software-Unternehmen mit mehr als 95 Ingenieuren und IT-Spezialisten gemausert hat. Neben strategischen Beratungsprojekten auf dem Gebiet der Digitalisierung unterstützen sie Kunden bei der Implementierung des Model Based Systems Engineerings (MBSE), bei agilen Software-Entwicklungs-Projekten und bei der Weiterentwicklung ihrer PLM-Landschaften mit Blick auf Industrie 4.0.

:em feierte in diesem Jahr ihren 15. Geburtstag – mit Prof. Dr. Reiner Anderl von der TU Darmstadt, Doktorvater von drei der vier Gründungsgesellschafter und Aufsichtsrat des Spring-Offs, als prominentem Gratulanten. Anderl würdigte die Leistungen seiner ehemaligen Studenten, bevor er sich mit der Dynamik der digitalen Transformation auseinandersetzte. Industrie 4.0 sei eine neue Stufe der Wertschöpfung über den gesamten Lebenszyklus, die zu einer stärkeren Integration der vertikalen und horizontalen Wertschöpfungsketten führe. Sie ermögliche nicht nur intelligentere Fabriken, sondern intelligente Produkte, Haushalte, Städte oder Energieverteilung.

Anderl nannte verschiedene Anwendungsszenarien für Industrie 4,0, die vor allem die Produkte betreffen. Am interessantesten fand ich den Aspekt der Wandlungsfähigkeit ausgelieferter Produkte. Er bedeutet im Prinzip, dass Produkte dank Software-Updates in Zukunft länger leben werden, was mir unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit sehr wünschenswert erscheint. Statt meiner Tochter schon wieder ein „neues“ gebrauchtes Handy zu kaufen, bräuchte ich ihr nur einen Update zu schenken, der ihr iPhone x in ein iPhone y verwandelt. Ich hoffe nur, dass sich die Lebensdauer der Batterie auch per Software-Update verlängern lässt.

Im Rahmen des diesjährigen Engineering Process Days berichteten insgesamt neun :em-Kunden über ihre Erfahrungen bei Digitalisierungs-Projekten, der MBSE-Einführung oder der Implementierung neuer CAD- und PLM-Methoden. So viele Praxisbeispiele sieht man nicht oft bei einem Anwendertreffen. Aus dem Vortrag von Konstantin Flügel von Siemens LD (Large Drives) habe ich die Erkenntnis mitgenommen, dass die Digitalisierung gerade Herstellern von Allerweltsprodukten wie Elektromotoren die Chance eröffnet, flexibler auf Kundenwünsche einzugehen und sich dadurch vom Wettbewerb zu unterscheiden. Die größte Herausforderung bei der Definition einer entsprechenden Roadmap besteht darin, aus den vielen möglichen Digitalisierungsschritten die auszuwählen, die den größten Kundennutzen versprechen.

Interessant auch der Vortrag von Hans-Peter Martin von Daimler über die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Partnerintegration im Engineering. Die Entwicklung smart vernetzter Produkte führt nämlich dazu, dass noch mehr Wertschöpfung zu den Zulieferern und ihren Partnern wandert und dass neue Arten von Lieferanten, z.B. Software-Hersteller, Provider von Webservices oder mobilen Services etc. in die Collaboration-Prozesse eingebunden werden müssen. Nur wird das in der Digitalisierungsstrategie noch nicht ausreichend berücksichtigt. Die Unternehmen überlegen erst mal wie sie sich intern neu aufstellen und sind noch nicht soweit, dass sie die Partner in die Überlegungen einbeziehen, sagte Martin.

Meines Erachtens müsste die Partner-Integration schon bei der Definition der Digitalisierungsstrategie berücksichtigt werden. Was nützt es z.B., wenn ein Unternehmen seine vernetzten Systeme intern mit den neusten Methoden des MBSE beschreibt und die Information dann nicht modellbasiert zu den Partnern bekommt, die die Teilsysteme entwickeln sollen? Sicher fehlt dafür noch der eine oder andere Standard, aber auch den kann man zusammen mit Partnern besser definieren. Die Arbeitsgruppe Smart Systems Engineering des prostep ivip-Vereins ist hier ein geeignetes Forum.

Engineering_Process-Day

Der dokumentenbasierte Produktentwicklungsprozess mit manueller Weitergabe der Informationen, z.B. an die Produktionsplanung oder den Serviceprozess, funktioniert nicht mehr, wenn man neue Geschäftsmodelle unterstützen will. Das unterstrich Tim Schulte von der Schaeffler AG, der den Anwesenden das im Verbundprojekt MecPro2 entwickelte Lösungskonzept vorstellte. Wichtig für die Zusammenarbeit seien ein modellbezogenes Lifecycle- und Konfigurationsmanagement und die Möglichkeit, die Configured Items dem Änderungsprozess zu unterstellen.

Wo das dokumentenbasierte Arbeiten aufgrund der wachsenden Dokumentenflut in Form dicker Lastenhefte und umfassender Gesetze, Normen etc. längst an seine Grenzen stößt, ist das Anforderungsmanagement. Viele Dokumente würden nicht mehr im Einzelnen gelesen, versicherte Schultes Kollege Peter Gerber, der deshalb für ein durchgängiges, Disziplinen-übergreifendes Anforderungsmanagement plädierte. Die Anforderungen müssten in einer maschinenlesbaren Form beschrieben werden, um bei Änderungen die Unterschiede automatisch identifizieren und die Anforderungen einfacher wieder verwenden zu können.

Der Aufbau eines durchgängigen Anforderungsmanagements ist für die meisten Unternehmen der erste Schritt auf dem Weg zur Einführung von Werkzeugen und Methoden des MBSE. Auch bei GKN Driveline stand es ganz oben auf der gemeinsam mit :em entwickelten Roadmap, wie Michael Engelmann in seinem Vortrag erläuterte. Der Automobilzulieferer entschied sich dabei für ein zweigleisiges Vorgehen: In der Angebotsphase werden die Anforderungen disziplinenübergreifend mit der Software ReqMan von :em gemanagt. Wird aus dem Angebot ein Auftrag, können sie über den ReqIF-Standard an Integrity übergeben werden, um ihre Nachverfolgbarkeit über den gesamten Produktlebenszyklus zu gewährleisten.

Vorträge zum Thema CAD- und PLM-Migration sowie zur Integration additiver Fertigungsverfahren in die digitalen Produktentwicklungsprozesse rundeten eine Veranstaltung ab, die wichtige Einblicke über den Stand der Digitalisierung in der Fertigungsindustrie gab. Die Unternehmen haben mit der Umsetzung der ersten Projekte begonnen, aber bis zur vollständigen Digitalisierung aller Geschäftsprozesse ist es noch ein langer Weg. Deshalb ist es wichtig, die Digitalisierungsstrategie regelmäßig zu überprüfen, denn die Prioritäten können sich im Laufe der Zeit verschieben.

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