Michael Wendenburg Online Redaktion

Bimodale PLM-Systeme – Zukunft oder nur ein Marketinggag?

Seit ein einiger Zeit wird auch in PLM-Kreisen über eine bimodale IT diskutiert: Eine IT der zwei Geschwindigkeiten mit stabilen, ausgereiften Backend- oder Backbone-Systemen, die die Funktionsfähigkeit der Gesamtlösung gewährleisten, und agil implementierten Applikationen, bei denen der Kundennutzen im Vordergrund steht. Prof. Martin Eigner hat den ursprünglich von Gartner entwickelte Begriff in einem Interview für den EngineeringSpot nun für ein einzelnes PLM-System reklamiert. Das halte ich, bei allem Respekt für Martin Eigner, für einen netten Marketinggag. Davon abgesehen ist der Ansatz ohnehin reichlich umstritten.

Messerschneide

So wie ich das das Konzept der bimodalen IT verstanden habe, geht es hier – wenn überhaupt – um die Gesamtarchitektur einer IT-Bebauung, aber nicht um die Architektur eines einzelnen Systems. In erster Linie aber propagiert Gartner eine zweigeteilte Vorgehensweise bei der Implementierung von IT-Systemen, nämlich einen klassischen Planungs- und Arbeitsmodus (Wasserfall-Prinzip etc.) und einen agilen Modus. Es geht mit anderen Worten um unterschiedliche Vorgehensweisen in der IT, die zu einer Zweiteilung der IT-Organisation führen. Folgende Definition, die ich in der Enzyklopädie für Wirtschaftsinformatik gefunden habe, drückt das am besten aus:

Bimodale IT bezeichnet die Zweiteilung einer IT-Organisation in das Management von sicheren und in ihrem Verhalten vorhersagbaren Kernsystemen auf der einen sowie von experimentellen, agilen und Kunden sowie Partnern zugewandten Applikationen auf der anderen Seite. Die grundlegende Idee einer solchen Organisationsform ist, neben der traditionellen IT-Entwicklungs- und –Betriebsorganisation eine Art Überholspur für digitale Transformationsprojekte mit hoher Priorität und hohem Geschwindigkeitsanspruch zu schaffen.

Genau diese Zweiteilung der IT-Organisation ist es, die unter IT-Experten und Analysten zu heftigen Diskussionen führt. Gartner und Forrester streiten über den richtigen Ansatz, schrieb die Computerwoche vor einigen Monaten. Die Analysten von Forrester Research warnen davor, dass die Zwei-Klassen-IT zu noch mehr Komplexität führe und mit Blick auf die angestrebte Agilität kontraproduktiv sei, wenn zwei Bereiche um die ohnehin schon knappen IT-Ressourcen ringen. Außerdem befürchten sie, dass eine bimodale IT die Neigung verstärke, die Backend-Systeme unangetastet zu lassen.

Kritik kommt aber auch aus eine anderen Richtung, wie ein Blog-Beitrag von Anecon über die bimodale IT anmerkt. Die Verfechter des agilen Ansatzes – so der Autor – werfen der Gartner Group vor allem vor, dass sie mit dieser Theorie den Entscheidern und Führungskräften der IT-Abteilungen nur eine Ausrede liefern, den traditionellen Ansatz beibehalten zu können, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Dies kommt quasi einer Entschuldigung gleich, dass die CIOs es nicht geschafft haben ihre IT-Abteilungen agil auszurichten.

Es geht bei der Diskussion um bimodale IT also um alles Mögliche, aber nicht um die Eigenschaften von IT-Systemen, auch wenn ich mit Martin Eigner völlig einer Meinung bin, dass wir neue, modulare PLM-Architekturen brauchen, und neue Wege, Informationen intelligent zu vernetzen. Aber das ist eine andere Diskussion, nämlich die um monolithische versus multi-tier PLM-Architekturen, die sich inzwischen ebenfalls zu einer Schlacht der Marketing-Strategen entwickelt hat, wie Oleg Shilovitsky vor kurzem in einem interessanten Blog-Beitrag auf Beyond PLM dargestellt hat. Seine Schlussfolgerungen:

CIMdata and Aras are looking how to differentiate “old vs new” in PLM, integration, federation, agile development. But from software architecture perspective, excluding rich old PLM clients, PLM systems on the market today are multi-tier applications. These application suites were developed using different technological stacks and in the context of time, external constraints and historical events such as mergers and acquisitions. So, these applications are indeed different. But how? Is “monolithic” definition is good enough to explain the differentiation? Is it pure marketing to call some applications monolithic? Many questions today. No answers yet…

Es mag durchaus sein, dass die PLM-Software von aras die Anforderungen an eine moderne PLM-Architektur eher erfüllt als andere PLM-Systeme, aber das macht sie nicht zu einem bimodalen PLM-System. Allenfalls zu einem PLM-System, das man im Rahmen einer bimodalen IT-Strategie mit agilen Methoden implementieren kann. Meines Wissens setzt General Motors Teamcenter als PLM-Backbone-System ein. Es wäre also ganz interessant zu erfahren, welchen agilen Aufgaben nun die aras-Software übernehmen soll, aber dazu habe ich weder bei aras noch GM nähere Informationen gefunden.

Weitere Beiträge auf wendenburg.net Seite 3

26.10.2018
Das 3DEXPERIENCE Forum von Dassault Systèmes fand in diesem Jahr an einem Ort statt, der die industrielle Transformation treffend charakterisiert: Die Lokhalle in Göttingen, ein 1917 erbautes Denkmal der Industriekultur, in der früher Dampflokomotiven gewartet wurden, und die heute als Event Location... Artikel weiterlesen
08.10.2018
Nach einer längeren kreativen Pause melde ich mich zurück mit meinen Eindrücken vom Munich PLM Symposium, das vom Institut für Engineering Design of Mechatronic Systems & PLM der Hochschule für Angewandte Wissenschaften München ausgerichtet wird. Mit ca. 140 Teilnehmern hat sich die Veranstaltung,... Artikel weiterlesen
27.04.2018
Vor ein paar Tagen besuchte ich im MOC Veranstaltungscenter in München das prostep ivip Symposium 2018. Mit 700 Teilnehmern von mehr als 200 Anwenderfirmen, IT-Vendoren und Hochschulinstituten aus 21 Ländern verzeichnete das internationale Familientreffen der PLM-Branche einen neuen Besucherrekord.... Artikel weiterlesen
16.04.2018
Auf ihrem North American Industry and Market Forum in Ann Arbor, Michigan präsentierte die Marktforschungsfirma CIMdata vor kurzem die Zahlen zur Entwicklung des PLM-Marktes und die aktuellen Trends. Oleg Shilovitsky berichtete darüber in einem Blogbeitrag auf Beyond PLM, auf den ich mich beziehe,... Artikel weiterlesen
31.03.2018
Rund zwei Jahre ist es her, dass eine Reihe von PLM-Experten aus Industrie und Forschung auf Initiative von Conweaver in einem Workshop darüber diskutierten, wie sich PLM neu erfinden muss, um die Herausforderungen bei Entwicklung, Fertigung und Betrieb smart vernetzter Produkte und Produktionssysteme... Artikel weiterlesen
09.03.2018
Der Nutzen von PLM ist für die meisten Unternehmen nicht greifbar. Das war die ernüchternde Erkenntnis des PLMPulse Surveys 2017, der auf der PI PLMx im Hamburg vorgestellt wurde. Ohne den Marktforschern zu nahe treten zu wollen, glaube ich, dass das so nicht stimmt. Vielleicht hat man auch einfach... Artikel weiterlesen
03.03.2018
Vor ein paar Tagen bin ich auf der Homepage von PLM-Hersteller CONTACT Software über ein interessantes Whitepaper zum Thema Data Science & Analytics gestoßen. Autor Dr. Udo Göbel erläutert die Möglichkeiten und praktischen Probleme mit der algorithmischen Analyse, die nach seinen Worten für... Artikel weiterlesen
25.02.2018
Die PI PLMx, die in diesem Jahr in Hamburg stattfand, hat sich als fester Treffpunkt der europäischen PLM-Experten etabliert, auch wenn die Veranstaltung von der Teilnehmerzahl bei weitem nicht an das prostep ivip-Symposium heranreicht: Rund 225 Besucher, darunter 135 Vertreter von Anwenderfirmen, trafen... Artikel weiterlesen