Michael Wendenburg Online Redaktion

3DEXPERIENCE Forum Leipzig mit viel Kundenerfahrung

Experience the Future of Industrial Design, Engineering and Manufacturing lautete das Motto des diesjährigen 3DEXPERIENCE Forums EuroCentral, das letzte Woche im Kohlrabizirkus in Leipzig stattfand. Die ehemalige Großmarkthalle mit den seinerzeit größten Massivkuppeln der Welt war Schauplatz einer Veranstaltung, die nicht nur Zukunftsvisionen für die digitale Transformation bot, sondern erfreulich viele Anwendungsbeispiele. Insgesamt 12 Kunden referierten in den Breakout-Sessions über ihre Erfahrungen mit der 3DEXPERIENCE-Plattform (3DX) von Dassault Systèmes.

Leipzig

Das 3DEXPERIENCE Forum ist kein klassisches Anwendertreffen, sondern richtet sich gezielt an Führungskräfte. Deshalb kamen mit 370 Teilnehmern auch deutlich weniger Besucher nach Leipzig als beispielsweise zum PTC Forum Europe nach Stuttgart, das in der gleichen Woche stattfand. Etwa 40 Prozent von ihnen besuchten die Veranstaltung zum ersten Mal, wie eine Online-Befragung ergab; ebenso viele nahmen aber auch schon mehr als vier Mal teil. Und fast alle wollen im nächsten Jahr wiederkommen. Was die Teilnehmer am meisten interessierte war der Erfahrungsaustausch mit anderen Besuchern: Mehr als 53 Prozent gaben als Motiv für den Besuch das Networking an, während sich nur etwa 22 Prozent auf den aktuellen Stand bringen wollten, was Unternehmen und Produkte angeht.

Produktneuheiten standen ohnehin nicht im Mittelpunkt der Veranstaltung. Eine sehr interessante erwähnte Laurent Blanchard, Executive Vice President Global Field Operations (EMEAR) eher am Rande: Die Möglichkeit, CAD-Daten aus CATIA V5, SolidWorks und künftig wohl auch aus PTC Creo und Siemens NX auf die 3DX-Plattform zu laden und dort „anzureichern“, d.h. die Geometrie z.B. mit den Funktionen für Generative Design topologisch zu optimieren, um sie dann wieder an das Ausgangssystem zurückzuspielen. In welchen Formaten Import und Export mit Power By erfolgen werden und wie viel von der parametrischen Intelligenz der Ausgangsdaten dabei auf der Strecke bleibt, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen.

Blanchard erläuterte den Teilnehmern in seiner Keynote die Ziele, die Dassault mit der Entwicklung der 3DX-Platform verfolgt: In erster Linie gehe es darum, Partner für Innovation zu sein, denn Innovationen seien das beste Mittel, um sich im Wettbewerb zu behaupten. Weltweit werden Innovationsprojekte im Wert von 1.500 Milliarden US-Dollar werden auf der Basis unserer Produkte abgewickelt, führte Blanchard weiter aus und nannte auch ein paar konkrete Beispiele. So hat sich z.B. der VW gehörende Nutzfahrzeughersteller Scania entgegen der PLM-Strategie des Konzerns für eine Zusammenarbeit mit Dassault entschieden, mit dem Ziel, nachhaltigster Lkw-Lieferant der Welt zu werden. Ausschlaggebend für die Entscheidung war unter anderem die Modularität der 3DX-Plattform.

Blanchard

Nach dem Verständnis von Dassault ist 3DX die nächste Evolutionsstufe von PLM: Eine Business Experience Plattform, die als Betriebssystem für die gesamte Organisation und zugleich als Marktplatz für die Zusammenarbeit mit Partnern genutzt werden kann. 3DX bringe vor allem die Engineering- und Manufacturing-Welt näher zusammen, an deren Nahtstelle immer noch viele Informationen verloren gingen, sagte Blanchard im Interview.

Den Hinweis, dass sich die Plattform-Strategie von Dassault nicht wesentlich von der Strategie anderer PLM-Hersteller unterscheide, wies er entschieden zurück: Die Botschaft mag dieselbe sein, aber die Technologien unterscheiden sich. Die 3DEXPERIENC-Plattform stellt ein zentrales Datenmodell in den Mittelpunkt. Das kann das Modell eines Produkts, eines Körperteils oder einer Stadt sein. Auf der Basis dieses Modells simulieren wir unterschiedliche Szenarien, was eine Menge wissenschaftlichen Backgrounds erfordert. Dieses zentrale Datenmodell deckt alle vier Dimensionen unseres 3DEXPERIENCE-Kompasses ab und macht unsere Plattform einzigartig. Es ist der Grund, warum wir von einer filebasierten zu einer datenbankgestützten Verwaltung der Daten gewechselt sind, was 2012 – bei der erstmaligen Vorstellung von 3DX – keiner so richtig verstanden hat.

Doch zurück zum Event: Bedingt durch die baulichen Gegebenheiten des Kohlrabizirkus war das Format des diesjährigen 3DEXPERIENCE-Forums ebenso ungewöhnlich wie reizvoll. Ein nur mit Vorhängen vom Ausstellungs- und Bewirtungsbereich abgetrennter Vortragssaal mit einer runden Bühne in der Mitte, auf der die Keynote-Speaker wie in einer Manege herumtigerten, was das Hörverstehen manchmal erschwerte. Auf den vier Bühnen am Rand des Runds referierten anschließend die Kunden in vier parallelen Breakout-Sessions. Die Zuhörer brauchten nur ihre Stühle in die gewünschte Richtung zu drehen und am Kopfhörer den passenden Kanal einzustellen, so dass sie in unterschiedliche Vorträge reinhören konnten. Etwas stressig war das für meinen Blogger-Kollegen Ralf Steck, der sich praktisch vierteilen musste, um live über die Veranstaltung zu berichten. Kompliment – dank seiner kräftigen Statur hat er die Aufgabe sehr gut gemeistert.

Airbus, Benteler Automotive, Bosch Rexroth, Claas, Covestro, Continental Teves, MAN Diesel & Turbo, Opel Automobile, Porsche, Robert Bosch, Roche Diagnostics, Thyssen Krupp – Dassault hatte für die Breakout-Sessions Kunden mit Rang und Namen aufgeboten. Ihre Vorträge sollten die Vielseitigkeit und Flexibilität der 3DX-Plattform untermauern, sowohl was den Einsatz in Branchen vom Flugzeugbau, über Automobilindustrie und Maschinenbau bis zur Medizintechnik und Klebstoffindustrie anbelangt, als auch hinsichtlich der Unterstützung des gesamten Produktlebenszyklus: Design & Engineering, Manufacturing, Science & Simulation sowie Technology & Analytics waren die vier Themenblöcke, in die sich die Vorträge gliederten.

Sehr interessant fand ich auch den Keynote-Vortrag von Rouven Vierfuss, Leiter Industrial Engineering bei der zu Miele gehörenden Imperial Werke oHG in Bünde, wo unter anderem Dampföfen montiert werden. Aufgrund der hohen Variantenvielfalt hat das Unternehmen die Fließbandfertigung auf einen One Piece Flow umgestellt, bei dem jeweils ein Werker das komplette Gerät montiert. Um den Montageprozess weiter zu beschleunigen und die Fehlerrate zu reduzieren, entwickelte das Unternehmen im Rahmen des vom BMBF geförderten Smart Factory IT-Projekts zusammen mit verschiedenen Partnern eine Digitalisierungslösung mit verschiedenen Apps. Sie unterstützen sowohl den Werker bei seiner Arbeit, als auch die Vorarbeiter bei der Kontrolle der Arbeitsfortschritte. Über eine Reparatur App kann die Reparaturabteilung Montagefehler anonymisiert an die Werker zurück melden. Nicht ganz klar wurde mir, welche Rolle die 3DX-Plattform bei der Entwicklung der Lösung spielte. Sie soll auf jeden Fall ihre Implementierung in den produktiven Betrieb unterstützen.

Barth

Dassault wollte in diesem Jahr vor allem die Kunden zu Wort kommen lassen. Einen Vorgeschmack gab es schon am Vorabend der Veranstaltung mit einem Vortrag von Helmut Kastler von Kreisel Electric, einem österreichischer Start-up-Unternehmen, das sich auf die Elektrifizierung von konventionellen Fahrzeugen spezialisiert hat. Kreisel Electric entwickelt und fertigt dafür hochleistungsfähige Batteriesysteme, die auch für andere Anwendungen genutzt werden. 3DX dient nicht nur als Plattform für die interdisziplinäre Entwicklung von Mechanik, Elektrik/Elektronik und Software, sondern organisiert auch den Ideenaustausch und die Kommunikation. A whole platfom story, wie Andreas Barth, Managing Director EuroCentral von Dassault in seiner Keynote am nächsten Morgen sagte.

Barth gab einen kurzen Rückblick über die letzten 12 Monate, die für Dassault offensichtlich sehr erfolgreich waren. Der Software-Hersteller beschäftigt in Zentraleuropa mittlerweile 1.700 Mitarbeiter, 240 mehr als vor Jahresfrist, und erwirtschaftet mehr als 43 Prozent des weltweiten Umsatzes. Außerdem präsentierte Barth die Ergebnisse einer von Dassault gesponserter IDC-Studie, der zufolge sich PLM aus der Cloud auch in Deutschland einer wachsenden Akzeptanz erfreut. Bei 64% der Befragten trifft sie auf Zustimmung, wobei die meisten Unternehmen laut IDC erst einmal einen gemischten, hybriden Ansatz aus Cloud- und On-Premise-Diensten fahren werden. Cloud-Computing beschleunigt den Marktforschern zufolge die Umsetzung von Industrie 4.0-Initiativen, die in den letzten 12 Monaten ebenfalls einen großen Schritt nach vorne gemacht hat. Der Anteil der Unternehmen, die mit einer begrenzten Umsetzung begonnen haben, hat sich von zehn auf 34% erhöht.

Deutsche Kunden, die ihre PLM-Anwendungen nach und nach in die Cloud verlagern wollen, können als Infrastruktur für die 3DX-Plattform künftig die Open Telekom Cloud (OTC) nutzen. Eine entsprechende Kooperation haben Dassault und T-Systems in Leipzig angekündigt. Ein perfekter Fit, wie Lutz G. Mauch; Senior Vice President Automotive bei T-Systems International sagte. Mögliche Sicherheitsbedenken zerstreute er mit dem Argument, dass das Unternehmen allein für das Thema Security eine Organisation mit 1.200 Mitarbeitern unterhalte, die unter anderem Penetration-Tests für die Automobilindustrie durchführe. OTC sei viel besser geschützt als die IT-Infrastruktur der meisten Unternehmen.

Der Telekommunikationsanbieter, der mit dem Verkauf von ausrangierten Telefonkabinen an Sammler heute mehr Geld erlöst als mit dem Betrieb der verbleibenden , will sich mit Hilfe von OTC zum IoT-Plattform-Provider entwickeln. Der Grund ist klar: Die Telcos verlieren jeden Tag 100 Millionen Dollar Umsatz an die vorwiegend amerikanischen Unternehmen der digitalen Wirtschaft, sagte Mauch. Die erste Welle der Digitalisierung hat das Unternehmen glatt verschlafen, wie eine Anekdote illustriert: Die Telekom hätte vor ein paar Jahren WhatsApp kaufen können, nahm aber wohl mit Blick auf das SMS-Geschäft von der Idee Abstand. Jetzt setzt das Unternehmen auf die digitale Transformation, sowohl die eigene, als auch die der Kunden.

Die digitale Transformation erfordert smarte PLM-Lösungen, wobei sich die Frage stellt, ob die IT-Strategie der Business- bzw. Digitalisierungsstrategie folgen sollte oder umgekehrt. Kurt Bengel, CEO der Cenit AG, empfahl bei Digitalisierungsinitiativen eine Mischung aus Top-Down- und Bottom-Up-Ansatz nach dem Motto Think big, start small but start now. Man könne mit Effizienzsteigerungen beginnen, um Quick Wins zu realisieren, müsse sie aber mit Innovationen kombinieren, die neue Geschäftsmodelle ermöglichen, sagte Bengel. Zur Unterstützung des Produktlebenszyklus bis in die Betriebsphase benötige man digitale Kontinuität in den Prozessen und müsse Informationen aus dem Feld auch wieder in die Entwicklung zurückspielen.

Im Unterschied zu anderen PLM-Herstellern wie PTC oder Siemens PLM wird Dassault seinen Kunden für die Erfassung der Sensordaten aus dem Feld keine eigene IoT-Plattform anbieten, wohl aber die Tools für ihre Auswertung. Wir sind nicht an den Rohdaten interessiert, sondern nur an den Daten, die unser Modell anreichern können, sagt Blanchard. Ein klare Aussage, die meines Erachtens Sinn macht. Es gibt ohnehin schon zu viele IoT-Plattformen im Markt.

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